Dan Dalton – Johnny Ruin

Crowdfunding-Plattformen sind für die Literatur eine wundervolle Sache. Hier treffen Autor*innen auf Leser*innen, die jenseits des hart umkämpften Marktes und vor allem jenseits von Gatekeepern des Massengeschmacks, ihre Vorlieben miteinander teilen können. Dan Dalton, freier Journalist in London, hat seinen Debütroman Johnny Ruin ebenfalls mittels Crowdfunding finanziert.

Cover Johnny Ruin

Ein furioser Roadtrip, der Pate für dieses Konzept stehen kann. Und wer könnte eine präzisere Kurzbeschreibung abgeben als Dalton selbst. Johnny Ruin „is about a man who takes a road trip through his own mind with Jon Bon Jovi. It’s a sad, funny, literary exploration of heartbreak and mental health.“ Ein Roadtrip mit Jon Bon Jovi durch den eigenen Verstand. Die literarische Erforschung von Herzschmerz und psychischer Gesundheit. Traurig und lustig. Und damit hat Dalton sein Debüt nur grob umrissen, denn es ist noch viel mehr.

Johnny Ruin, der Name ist natürlich Programm, ist gescheitert. Am Leben, an der Liebe, an sich selbst. Der Mittdreißiger wollte eigentlich Schriftsteller werden, doch irgendwann im Laufe der Biografie verlor sich diese Motivation in den Zwängen des Alltags. Und so ist er zwar zum Schreiben gekommen, allerdings nur als Social Media „Manager“, der unsäglich peinliche Tweets aus der Perspektive einer Dose Holzbeize – ja wirklich – in die virtuelle Welt mehr oder weniger auskotzt.

„Niemand mag dich. Du bist ein schrecklicher Mensch. Du bist völlig unwichtig.“

Johnny schreibt ein Buch. Ein Buch über Trauer, denn Johnny ist gestorben. Wem das schon zu surreal ist, der wird über die erste Seite nicht hinauskommen. Vielleicht halluziniert Johnny aber auch nur. Na klar, wer würde das nicht, nach reichlich Alkohol und Ketamin? Johnny hat sich betäubt, vielleicht zu viel, wer weiß das schon so genau. Nur eines steht fest, es folgt ein tragikomischer Ausflug in die assoziative, luzide Gedanken- und Gefühlswelt von Johnny. Eine Reise, auf der er begleitet wird von John Bon Jovi und einigen anderen – seiner Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen und Wünsche. Sigmund Freud hätte eine große Freude an diesem Roadtrip durch das Unbewusste gehabt. Nicht zuletzt, weil der Sexualtrieb auch nicht zu kurz kommt in diesem autobiografischen Höllentrip.

So humorvoll die ein oder andere Szene oder Kommentierung seiner Selbst auch ist, so ernst und tiefgründig ist die Reise durch die eigenen Abgründe, die eigene, teils brutale Geschichte. All das Unrecht, dass Johnny in seinem Leben begangen hat, zieht ihn hinab in die Kreise der Vorhölle. Dalton macht es seinen Leser*innen schwer. Der Sprachwitz, groteske Szenen, mit einem Augenzwinkern erzählte Abschnitte und die leichte Sprache täuschen über den Moloch in Johnny Ruin, über den Leviathan in Dalton selbst hinweg. Ruin ist nichts Menschliches fremd. Aber es ist auch nicht einfach ein weiterer Selbstfindungstrip auf Drogen. Dan Dalton wirft uns ohne Vorwarnung in das unendliche Meer des Selbstmitleids, die dunklen Höhlen der Trauer und den Mariannengraben der verlorenen Liebe. Die einzig wahre und für immer zerronnene Liebe.

It’s my life

Ruins Ruin als seelischer Exhibitionismus ist von Dalton großartig literarisch eingefangen. Der Roadtrip durch den Geist wird als Reminiszenz an einen Roadtrip durch die USA versinnbildlicht. Ambivalente Gedanken und Erinnerungen werden durch reale und fiktive Personen aus Ruins Leben symbolisiert. Assoziationen tauchen als Werbebanner an den Rändern der Highways auf. Die Vermengung von Real und Surreal gelingt wunderbar. Und bis zuletzt bleibt auch unklar, was denn nun eigentlich genau geschehen ist. Und während wir rätseln, wie es Johnny Ruin gerade geht, lebt er noch, ist er tot, stirbt er gerade, halluziniert er, Delirium oder Todeskampf – oder gar nichts von alledem, sondern er träumt nur, oder schreibt einfach einen Roman, erfahren wir immer mehr Details über sein desaströses Leben und die (unheilvolle) Macht der Liebe.

Direkt zur Verlagsseite von Hoffmann und Campe.

Der seltene Fall eines gelungenen Buchtrailers.

 

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