Kochen Sie schon, Herr von Stuckrad-Barre?

Ich glaub mir geht's nicht so gut ich muss mich mal irgendwo hinlegen | Benjamin v. Stuckrad-Barre besprochen von Dörte Brilling am 10. Mai 2018.

Bewertung: 3 Sterne

„ … wenn du anfängst, zu Hause zu kochen, dann haben sie dich.“
B. v. Stuckrad-Barre in „Panikherz“

Lieber Herr von Stuckrad-Barre!

Vor mir liegt Ihr neues Buch „Ich glaube, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen.“ Gratulation zu diesem gelungenen Titel! Ich höre diesen Satz sehr oft, deshalb musste ich schmunzeln, als ich ihn das erste Mal las. Und! Dadurch, dass er mir so vertraut ist, kann ich mir den bestens merken. (Ich kenne nur wenige Bücher, bei denen so viele Wörter den Titel ausmachen … Moritz von Uslars „Waldstein“ und noch ein Buch von Antonia Baum fallen mir da gerade mal ein, aber ich bin auch nicht soooo belesen.)

Mit Panikherz habe ich Sie erstmals, und seitdem tue ich es eigentlich ständig, in mein eigenes Panikherz geschlossen. Bis dahin kannte ich Sie nicht, obwohl auch ich „Generation Golf“ bin, aber durch irgendeinen dummen, will sagen glücklichen Zufall, wahrscheinlich eine Rezension im Spiegel – kann das sein? – gelang Ihr fulminantes Buch in meine Hände! Endlich(?) ein intellektualisiertes Ich unter Drogen und: Mein Gott, Udo! Ich war eine seiner größten Fans. Riki Masorati, Alles klar auf der Andrea Doria (später, auf dem Hamburger Berg, habe ich mich gefragt, ob Rosi, die Chefin von Rosis Bar, eigentlich die Rosa war: „’n Groupie hab’n die auch, die heisst Rosa oder so und die tanzt auf’m Tisch wie’n Go-Go-Go-Girl … Aber das sollte ich vielleicht Herrn Lindenberg besser selbst fragen, – kurzum ich kannte den Udo-Kosmos, die imaginäre Udo-und-ich-Rebellion, die Kugel in meinem Colt, was waren das für Lieder! Welch ein verschwörerisches Aufwachsen! (Das hatte bei mir nur noch Niedecken hinbekommen – im Nachhinein natürlich GAR NICHT zu vergleichen.) Beim Lesen Ihres Buches hörte ich mich ALSO manchmal selbst reden … das soll jetzt keine Anmaßung sein, natürlich reden nur Sie so wie Sie reden bzw. schreiben … egal, fassen Sie es als Kompliment auf, denn so ist es gemeint!

Meine von da ab stetig wachsenden Groupie-Allüren führten mich spätestens Ende April zu einer der letzten Vorstellungen von „Panikherz“ ins Thalia-Theater nach Hamburg. Es war der Abend, an dem Udo Lindenberg samt kleiner Panikfamilie auch da war. Wussten Sie das?

Es war alles sofort wieder da, die Demut, trotzdem und immer noch dieser – Ihr– erfrischender Zynismus, all das Zweifeln und Verzweifeln, dieses wahnsinnige Ausholmanöver, in dem Sie beschreiben, wie Sie glauben, dass es auf dem Klassentreffen werden würde, zu dem Sie nicht gefahren sind. Der Schlusssatz, den ich aus der Erinnerung nicht zitieren kann, aber fühlen: Natürlich geht es auch ohne das alles, aber wer, um Himmelswillen, will das freiwillig aushalten?

Und ganz logisch, klar, ich ging an diesem Abend nach Hause, in der U-Bahn noch ein bisschen auf Instagram, Fanta 4 rappt den REMIX 3, und Klaas Heufer-Umlauf und die ganze Kohorte, alle freuen sich, dass Sie wieder da sind! Und ich natürlich auch.

Kein Wunder also, dass der Weg am darauffolgenden ersten Feiertag (oder war es schon der Sonntag?) in den Bahnhof führte, denn die verkaufen ja, zum Glück, jetzt auch schon GUTE Bücher. Anfangs habe ich es gar nicht gefunden, weil Juli Zehs „Leere Herzen“ auf dem Remix-3-Stapel lagen. Ein Zeichen? Nee.

Und dann das erste Reinlesen. Besser: von Anfang an. Vielleicht gibt es ja da eine Dramaturgie. Nix mit Shuffle. Immer schön dem Autor hinterher. Also los mit Advantage Becker. Mir war gar nicht klar, dass Becker so ein Nostalgiker ist! Wär ich aber auch, an seiner Stelle. Und dann die erste Frau, nämlich seine. An dieser Stelle sei schon mal eingeworfen, dass das Rentnerfernsehen (äh, will sagen: Kölner Treff/Bettina Böttinger Mein Gott, Stucki, was haben Sie denn da verloren? Von denen die, die das gucken, kennt Sie ohnehin niemand.) die Quotenfrauen vermisste. Ihr Argument, der kleine Finger von Madonna würde 10 Männer aufwiegen, war das schlagfertigste in der ganzen Runde, auch wenn ich’s nicht ganz gelten lassen kann, denn Madonna ist ja auch ein Mann! Sei’s drum.

24 Stunden mit Jürgen Fliege. Ich musste arg in meinem Gedächtnis nachkramen, wer war das noch mal? Auch damals schon beiges Rentnerfernsehen. Meiner Meinung nach. Also warum? Hier muss ich mich doch mit es (Bettina Böttinger) zusammen tun. Schade, dass Ihnen da nicht was ähnlich Geiles eingefallen ist wie Madonnas kleiner Finger. „Ich kaufe ja auch bei Juden!“ (Jürgen Fliege), das haben Sie nicht nötig, Herr von Stuckrad-Barre. Finde ich. Wenn Sie das Harald Schmidt 2013 in sein Gagbuch geschrieben hätten … alle hätten sich schlapp gelacht. So sehr kommt es eben auf den Kontext an. Das gilt natürlich auch für Ihr Buch. Ähnlich ging es mir mit Ihrer Zeit bei dem o. g. Grande Senior. Das ist wie eine nasse Tageszeitung von gestern auf die Heizung legen und darauf warten, dass sie trocken wird, damit  man sie HEUTE lesen kann. Der Gag von gestern ist eben nur der Gag von gestern. Das klingt jetzt vielleicht platt, aber manchmal kam es mir so vor, als müssten sie das Buch vollkriegen, zur Not auch mit alten Geschichten.

Auch alt, aber immerwährend gut zu lesen, Portraits wie Der Verleger – natürlich super, Schweinegrippe, grandios! Tattoo, wieder ein bisschen Panikherz in gesund.

Mir ist klar, dass Sie nicht immer Ihr Herz in Panik versetzen können, aber vielleicht könnte das ja die Richtung sein …

denkt sich
Ihre Dörte Brilling

 

 

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