Alexander Häusser: „Noch alle Zeit“

Noch alle Zeit | Alexander Häusser besprochen von Hauke Harder am 8. Oktober 2019.

Bewertung: 5 Sterne

„Noch alle Zeit“ von Alexander Häusser ist ein besonderes Buch. Es ist eine Geschichte über die Fähigkeit das Seiende anzunehmen, dem Verdrängen zu trotzen und über eine tief sitzende Sehnsucht nach Halt. Der Wille nach Erinnerung und Klarheit führt den Protagonisten nach Norwegen und verbindet das Vergangene mit der Gegenwart. Es sind zwei Menschen, die sich zufällig begegnen und sich auf der Reise begleiten und unterstützen. Zwei, die sich auf Spurensuche begeben und durch ihre Geschichten getrieben werden und sich dabei verändern.

Edvard, der Protagonist des Romans, ahnt, einem Familiengeheimnis auf die Spur gekommen zu sein. Sein Vater war, als er noch Kind war, plötzlich verschwunden. Die Mutter sagte immer wieder, er sei tot. Doch wünschte sich Edvard als Kind seinen Vater zurück und meint, ihn ab und zu gesehen zu haben. Als Traumwahrnehmung oder war es wirklich sein Vater, der im Spielzeuggeschäft einen Modellbausatz kaufte?

Edvard ist sich als Kind sicher, sein Vater würde irgendwann zurückkommen. Doch seine Mutter redet nicht mit ihm über das Vergangene. Als diese stirbt, findet Edvard ein Sparbuch, das in seinem Namen geführt wurde. Durch regelmäßige Einzahlungen hat sich ein kleines Vermögen angesammelt. Seine damalige große Liebe, Elsie, ist wieder in der Stadt und arbeitet bei einer Bank. Durch sie erfährt er, dass die letzte Einzahlung in Oslo getätigt wurde. Steckt eventuell sein Vater dahinter? Seine Beziehung zu Elsie ist durch damalige Verstrickungen auseinander gegangen und da ihn zurzeit nichts mehr vor Ort hält, macht er sich auf die Reise. Mit der Bahn geht es nach Dänemark, um dort die Fähre nach Norwegen zu nehmen.

Auf dieser Schiffspassage trifft er in einer Bar Alva. Alva, die eigentlich Bianca heißt, ist Journalistin. Ihr schwebt eine Dokumentation über magische Orte vor. Sie will in ihrem Beitrag über magische, d.h. unbekannte Orte berichten. Norwegen, das Land der Fjorde, Gebirge und Märchen, erscheint ihr sehr magisch. Letztendlich ist ihre Abfahrt aber auch eine Flucht. Sie flieht vor ihrem Leben in Berlin und als Mutter. In der Nacht der Überfahrt treffen die beiden Suchenden aufeinander. Sie betrinken sich in der Bar auf der „Kong Haakon“ und als Alva auf Deck taumelt, kann Edvard sie aus einer gefährlichen Situation retten und lässt sie in seiner Kabine schlafen. Am nächsten Morgen, beim Anlegen, ist sie aber bereits verschwunden. In Oslo begibt Edvard sich zu der Bankfiliale, um festzustellen, dass hier nur Automaten sind. War seine spontane Reise doch etwas zu naiv? Der vor 50 Jahren verschwundene Vater war einst immer auf Trödelmärkten unterwegs. Da die Filiale in der Nähe eines solchen Marktes ist, versucht Edvard dort Menschen zu finden, die seinen Vater gekannt haben könnten. Bei seinen Erkundungen läuft ihm erneut Alva über den Weg, die ihn aber aus schlechtem Gewissen gesucht hatte. Eventuell kann sie ja auch Edvards Geschichte als Journalistin verwenden. Zusammen begeben sie sich auf die Suche. Eine Suche, die sie letztendlich zu sich selbst führen wird. Als sie den Historiker Lemskos ausfindig machen, scheint sich langsam die Biographie seines Vaters zusammenzufügen. Aber auch Alvas Leben und Vergangenheit fließen in die Geschehnisse ein. Eine abenteuerliche Reise durch das wunderschöne Norwegen beginnt, die sie beide unterschiedlich und verändert heimkehren lässt.

Ein Roman, in dem man gerne verweilt und durch den man beim Lesen ebenfalls reicher an Erkenntnissen wird. Ein schönes, haptisches Buch, das auch sprachlich zu überzeugen versteht. Alexander Häusser, der lange an diesem Werk gearbeitet hat, bedankt sich mit einer feinen Geste bei seinem Verleger. Ein Liebesgedicht für Edvard von Elsie stammt aus dem Gedichtband „Herzband“ von Günther Butkus, dem Verleger des Pendragon Verlages.

 

Zuerst besprochen im Leseschatz von Hauke Harder (Buchhandlung Almut Schmidt)

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