Louise Erdrich, Little no Horse: Katastrophen und Wunder inklusive

Die Wunder von Little No Horse besprochen von Birgit Kidd am 27. November 2019.

Bewertung: 3 Sterne

Dieser Roman ist gespickt mit Wundern. Er ist das ehrgeizige Projekt einer Autorin, die schon in ihren vorhergehenden Romanen versucht hat, die komplexe kulturelle Mischung ihrer Kindheit aufzuarbeiten, zu entwirren, zu verstehen und verständlich zu machen. Ihre Protagonisten sind vor allem die Chippewas, die in einem Reservat in North Dakota leben. Ein enteignetes Volk, dessen Geschichte sie mit ironischem Humor und echtem Mitgefühl dramatisch darstellt. 

Im Zentrum ihres neuen Romans steht Pater Damian, der ein Geheimnis hat. Seit fast 80 Jahren hat er jeden Tag damit begonnen, die „Brüste der Frau … klein, verwelkt, bescheiden wie eine gefaltete Blume“, die seine wahre Identität offenbaren, mit einem festen Verband zu umwickeln. Ja, der Pater ist eine Frau. Geboren als Agnes de Witt trat sie als junges Mädchen in den Orden ein und wurde Schwester Cecilia. Als junge Nonne schon fiel sie unangenehm auf, und das durch ihre außergewöhnliche Begabung für Musik. Ihr Verständnis für die Musik, besonders die Chopins, bereitete der Mutter Oberin große Sorge. Besser ist es also, sie verlässt das Kloster. Verstoßen stolpert sie halb verhungert über einen Bauern, der sie aufnimmt und sie mit den Freuden des Sex bekannt macht. Turbulente Abenteuer reihen sich aneinander, darunter eine Schießerei bei einem Banküberfall, eine Überschwemmung und der Tod eines vorbeikommenden Priesters. Der bringt Agnes auf eine Idee: Sie nimmt die Identität des Priesters an und übernimmt die geistliche Führung des Reservats, das eigentlich seine neue Gemeinde hätte sein sollen.

Als Pater erlebt sie neue kleine Wunder. Der Roman bewegt sich in Gefilde des magischen Realismus, in denen sich die wilderen Bereiche des Katholizismus mit den Hoffnungen und Träumen einer Gemeinschaft vermischen, deren Traditionen durcheinander geraten sind. Vereint sind sie in der Suche nach klaren Klassifikationen: Heilige, Sünder oder Wunder.

Erdrichs präzise Prosa wird zu Recht gelobt, aber gelegentlich hat die Autorin die Tendenz, zu übertreiben und ihren Humor ins Surreale zu steigern. So lässt sie uns mit einem schiefen Lächeln die Macken des Schicksals erkennen, eines Schicksals , das so seltsam ist, dass es ins Wanken gerät.

Dabei hat sie ein tiefes Gespür für die Bandbreite menschlicher Sehnsucht – und das über Stammes und Religionsgrenzen hinweg: Sie beschreibt uns die Art und Weise, wie unterschiedliche Menschen und Gemeinschaften die Liebe, das Lachen und die Bedeutung suchen, die sie brauchen, um  durch dieses zum Teil leidenschaftlich verwobene Leben durchzukommen.

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