Auf Augenhöhe

Mal anders gesehen

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Mit Autoren und Preisträgern des literarischen Förderpreises 2008 sowie Zeichnungen von Jürgen Weing.

„Schau mir in die Augen, Kleines“ – und Ingrid Bergmann blickt auf, schaut hoch in das Gesicht von Humphrey Bogart. Kein Gespräch auf (gleicher) Augenhöhe, so würden wir heute sagen, wenn wir uns für einen Moment der Dramatik der „Casablanca“-Schlussszene entziehen und die vertikale Positionierung der Augen nüchtern analysieren.
Aber Vorsicht! „Augenhöhe ist ein räumlich-körperlicher, aber auch ein sozialer Begriff“, weiß Wikipedia, und das Räumlich-Körperliche muss nicht immer mit dem Sozialen einhergehen: Es gibt Menschen, die können auch im Sitzen noch auf einen her- abschauen, wenn man vor ihrem Schreibtisch steht. Wer dieses Kunststück nicht beherrscht, kann sich ja mit uralten Mitteln wie Podesten, Kanzeln, Kathedern oder wenigstens Schuhen mit hohen Absätzen behelfen, um seinen Status gegenüber dem Gesprächspartner zu erhöhen.
Dabei: Wie wohltuend sind doch die – wenn auch leider seltenen – Erfahrungen von Begegnungen, die wirklich „auf Augenhöhe“ stattfinden, zwischen gleichberechtigten Partnern, die sich gegenseitig ernst nehmen und respektieren, die auf offene oder versteckte Machtspielchen verzichten – das Ideal der „herrschaftsfreien Kommunikation“ hat ein Philosoph das einmal genannt.
Ganz unterschiedliche Antworten auf die mit gesellschaftlichen, politischen, erotischen Statusfragen einhergehenden Fragen (und neue Fragen zu fragwürdig gewordenen Antworten) sind in dem vorliegenden Buch zu finden; es vereinigt die nach Meinung der Jury gelungensten Beiträge zum Schreibwettbewerb „Auf Augen- höhe“, ausgeschrieben von der literarischen Vereinigung Signatur e. V. in Zusammenarbeit mit der Volksbank Tettnang.

Der vielfältige und originelle Umgang mit dem Thema hat die Jury immer wieder mit neuen überraschenden Zugriffen konfrontiert und dadurch das Lesen bis zum letzten der insgesamt über 60 Einsendungen nicht langweilig werden lassen. Da finden sich heitere und ernste Texte, sehr persönliche neben hochpolitischen Beiträgen, Erzählungen aus dem ganz normalen Alltag neben philosophischen Reflexionen, Geschichten mit Lokalflair genauso wie Storys aus weit entfernten Teilen der Welt. Und auch formal zeigt sich eine große Bandbreite: von klassischen Kurzgeschichten über eher reflexiv oder gar meditativ wirkende Prosatexte bis hin zu Gedichten unterschiedlichster Art. Hajo Fickus. (Jurymitglied Signatur).

Eine sehr schöne Ergänzung und Bereicherung sind die Zeichnungen des Künstlers Jürgen Weing. Charakteristisch für die Werke des heute am Bodensee lebenden Lyrikers und Künstlers ist die Reduzierung auf das Wesentliche – die „bewegte“ Linie.

Was wäre das Buch ohne die künstlerisch-gestalterische Hand von Natalie Niethammer. Die Medien- und Web-Designerin gründete 2002 die Agentur „KLEXX“ und hat seitdem zahlreiche Bücher, unter anderem die Signatur-Werke „Dichter am Tag“, „Mausklick“ und „Treibholz“ zu einem ganz besonderen Kunstwerk werden lassen. Auch die jüngste Neuerscheinung trägt die unvergleichliche Handschrift der begabten Frau: Außergewöhnlich, ansprechend und vor allem mit viel Liebe zum Detail ist ein gelungenes Buch entstanden, das schon auf den ersten Blick Lesefreude vermittelt.