Aufblende – Schriften zum Film

Erfahrung und Inszenierung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit

von

Seit mehr als drei Jahrzehnten gehört der römische linksintellektuelle Regisseur Nanni Moretti nun schon zu den wichtigsten, aber auch meistpolarisierenden Filmemachern Italiens. Seine Filme Liebes Tagebuch (Caro diario, 1993) und La stanza del figlio (Das Zimmer meines Sohnes, 2001) wurden u.a. in Cannes ausgezeichnet und haben den Autorenfilmer auch international bekannt gemacht.
Die vorliegende Arbeit versteht sich als erste, längst überfällige deutsche Einführung in das zehn Spielfilme umfassende Werk von Nanni Moretti – von dem ersten selbstproduzierten Publikumserfolg auf Super-8-Film (Io sono un autarchico/ Ich bin ein Autarkist, 1976) bis zum jüngsten Film über den umstrittenen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi (Il caimano/ Der Italiener, 2006). In dieser Eigenschaft macht die Untersuchung erstmals große Teile der italienischen Sekundärliteratur einem breiten Leserpublikum in deutscher Übersetzung zugänglich.
Darüber hinaus wird aber auch ein gänzlich neuartiger Blick auf das kohärente Œuvre des Regisseurs geworfen: Ausgehend von der Tatsache, dass Moretti in seinen Filmen als Regisseur und gleichzeitiger Hauptdarsteller immer eine prekäre Doppelrolle spielt, wird erörtert, auf welch tragische, aber auch komische Weise die individuellen raumzeitlichen Erfahrungen des meist gleichnamigen Protagonisten Michele Apicella in allen Filmen mit denjenigen seiner Umwelt kollidieren. Diese meist beiderseitig extremen Positionen werden durch eine kontrastierende raumzeitliche Inszenierung, in welcher vor allem der (selbst)ironische Blick des Regisseurs zum Vorschein kommt, als diskursive Weltentwürfe zur Diskussion gestellt. Die hochgradig anschlussfähigen Wahrnehmungs- und Strukturierungskategorien Zeit und Raum erweisen sich im Rahmen der Filminterpretation als wichtiges Instrument, um eine Poetik des morettianischen Kinos zu erarbeiten und vor allem das erkenntnisvermittelnde Potential von Morettis „doppeltem Blick“ aufzuzeigen.