Aus der Redensart geschlagen

Aphoristische Denkereien

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Eine repräsentative Auswahl seines 25jährigen aphoristischen Schaffens präsentierte Jürgen Wilbert 2012 mit dem Band ‚VORLETZTE SCHLÜSSE. Kurzes von Belang‘. Mit ‚Aus der Redensart geschlagen‘ Aphoristische Denkereien‘ bietet er hier eine um drei neue Kapitel erweiterte Neuauflage dieser Zwischenbilanz – mit einem vielsagenden Titel. Denn in diesem spiegeln sich die Erfahrung und Überzeugung des Autors, dass die Macht der Worte und Bilder unser Leben immer nachhaltiger prägt, und dies vor allem da, wo wir ihrem öffentlichen Gebrauch in Massenmedien und Politik permanent ausgesetzt sind. Wir bewegen uns quasi ständig in einem ‚Sprachdschungel‘, in dem unscheinbare ‚Giftpflanzen‘ und betörende ‚Duftwolken‘ uns sedieren und euphorisieren, benebeln und berauschen: Schlagworte und Unworte, Phrasen und Klischees, Slogans und Parolen, Leerformeln und Gemeinplätze. Von uns ungewollt und unbemerkt, von anderen durchaus gewollt und beabsichtigt, werden wir im täglichen Umgang mit ihnen geradezu wörtlich betäubt. Fehlentwicklungen des Zeitgeistes – besonders in sprachlicher Verschleierung – aphoristisch zu demaskieren: dies war von jeher ein zentrales Anliegen des Aphoristikers Jürgen Wilbert. Als Beispiel ein Blick auf den Jargon des Sportjournalismus: ‚Eine sportliche Form wörtlicher Betäubung: ‚Gomez erlöst uns.’– Sport als Ersatzreligion? Oder: ‚Blitzsaubere Geschäftsidee: Imagereinigung‘. Auch macht sich Jürgen Wilbert im neuen Kapitel ‚STARKSINNIGES‘ mit kritischer Finesse stark für das, was seines Erachtens Sinn macht, und gegen das, was ihm unsinnig oder sinnlos erscheint. Etwa, wenn er die enthüllende Funktion eines Spiegels aphoristisch ummünzt: ‚Verzerrt die Wahrnehmung des olympischen Gedankens weltweit: der Medaillenspiegel.‘ Oder wenn er die Apokalypse ‚kulinarisiert‘: ‚Dem jüngsten Gericht fehlt es leider an Vorkostern‘. Einen ganz spezifischen aphoristischen Pfiff haben auch zum einen zahlreiche Dreiwort-Neuschöpfungen wie ‚In Großen Koalitionen dominieren die Kompromisstöne‘, zum anderen sinnverdichtende Neologismen, z.B.: ‚Übersteigerter Nationalstolz grenzt an Patriotie‘. Dass auch in dieser überarbeitten und erweiterten Neuauflage wieder die denkanstößigen gezeichneten „Cum-libris-Menschen“ Andreas Noßmanns – alte und neue – bildlich zur Seite stehen, erhöht zweifellos eindrucksvoll das Lesevergnügen. (aus dem Vorwort von Rudolf Kamp)