Beflügelte Botschaften – Visitenkartengedichte

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Der 1940 in Bagdad geborene Beni Cohen-Or, der 1951 nach Israel übersiedelte und seit 1980 in Deutschland lebt, ist eigentlich bildender Künstler: Maler, Bildhauer, Zeichner. Seit mehreren Jahren widmete er sich zunehmend der Dichtung. In seiner seit 2012 begonnenen Serie der bisher drei selbst verlegten Bücher nimmt die Dichtkunst immer mehr Raum ein. Bildeten die auf Visitenkarten gedruckten Gedichte (sowie reproduzierten Gemälden und Zeichnungen) den Schwerpunkt des vorausgegangen Bandes, Beni Cohen-Or Neue Formen und neue Wege in Dichtung, so stellen die „beflügelten Botschaften“ – Gedichten auf Visitenkarten – voll und ganz den Inhalt dieser vierten Publikation Beni Cohen-Ors dar, und nicht nur diejenigen von ihm selbst, sondern auch eine großzügige Auswahl von Gedichten des „Vaters“ der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, und von Beni Cohen-Ors Frau Maria Baldus-Cohen-Or. Nur zwei Abbildungen in Visitenkartengröße geben Zeugnis seiner künstlerischen – bildhauerischen – Arbeiten kund. In seinem einführenden Text unter der bezeichnenden Überschrift „die visitenkarte als textträger poetischer information“ nennt Eugen Gomringer die Achtung aller drei im Buch zu Wort kommenden Dichter „auf die möglichkeit, ja auf die notwendigkeit der kommunikation“ als gemeinsamen Nenner ihrer dichterischen Arbeiten. Was die drei hauptsächlich verbindet, ist auch das, was Eugen Gomringer 1964 verfasste, und in einem hier gedruckten „Nachwort“ hervorhebt: der Dichter als derjenige, der ein Schweigen bricht und beschwört, dessen Sache Worte sind, die ihrerseits Gegenstände, Projektionen, Taten, Spiele und vieles mehr sind. Auf höchst unterschiedliche Weise ist das „Wort“ als solches Gegenstand ihrer Betrachtungen, z. B. Eugen Gomringer: „dein wort / mein geist / dein wort / meine frage“; Beni Cohen-Or: „Farbe in Worte, / Worte in Farbe“, „Liebe die Worte, / sagte das Gedicht.“; Maria Baldus-Cohen-Or: „Worte sind Brücken / Du musst sie wagen“, „Auf der Suche / nach dem verlorenen Wort“. Allen Dreien gemein ist der Wunsch nach einer einfachen, im Alltag der Durchschnittsmenschen verankerten „Dichtersprache“. Letztendlich verherrlichen vor allem Eugen Gomringer und Beni Cohen-Or in ihren Gedichten das Leben und Erleben ganz im Sinne wie, wenn auch ganz anders als Richard Dehmel (1863-1920) es vor über 100 Jahren tat: „kurz – ich erlebe meine Gedichte, / Und, merk dir’s, kein Erleben geschieht aus Gedanken“. Ja, schon die letzten Zeilen des Eugen Gomringer gewidmeten Gedichts, das Beni Cohen-Or 2013 verfasste und auf der Rückseite des Umschlags abdruckt, „das Gedicht / ist Gottes Wort“ lassen an Dehmels berühmte Zeile, „Dichterkraft ist Gotteskraft“, denken.
Private, durch das gesamte Buch verstreute Fotos, die das bewegte Leben aller drei Dichter dokumentieren, lockern die Seiten der 1/1 reproduzierten Visitenkartengedichte auf.