Berlin ohne Netz

Essays

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In seinem nonchalanten Humor ließ der Berliner sich seine Stadt so wenig in zwei Hälften auseinanderreißen wie die Magdeburger Halbkugeln. Der aus dem Osten nannte die schicke Grenz-Abfertigungsstelle an der Friedrichstraße, wo es spätestens um Mitternacht Abschied zu nehmen galt vom zurückkehrenden Westbesuch, Tränenpalast. Im Westen machte ein Bonmot die Runde: Die Mauer hat ooch wat Jutet – kannste Dir wenigstens nie valoofen. Und der Kabarettist Wolfgang Neuss, Berliner Urgestein aus Schlesien, pries West-Berlin als geografisches Unikum: Hier ist überall Osten.
Auf die Zumutungen der Wirklichkeit reagiert die Berliner Schnauze immer schon mit Chuzpe und Esprit, der historischen Mitgift verfolgter Zuwanderer. Erstrecht angesichts der Betonwand trotzten ihr die Texter. Wer hier durchkommt, kriegt von mir ne Mark war nur einer von vielen Sprüchen, die an der Mauer zu lesen standen. Steter Tropfen höhlt den Stein, proklamierte ein anderer die politische Strategie vom Wandel durch Annäherung. Und darunter hatte ein Dritter gekritzelt: Bitte hier pinkeln!