Bunte Perlen

Erzählungen für junge Leser

von ,

26 Erzählungen mit einem Vorwort von Hans Rudolf Nierderhäuser

Michael Bauer, ein Wegbereiter der Waldorfschul-Pädagogik
Lieber junger Leser,
die Geschichten, die ihr auf den nachfolgenden Seiten lesen werdet, sind von einem Manne geschrieben, dessen Geburtstag schon mehr als hundertzwanzig Jahre zurückliegt. Er war Lehrer in Nürnberg bis ins Jahr 1912 und hat diese Geschichten seinen Kindern in der Schule erzählt. Freunde, die davon erfuhren, regten ihn an, sie niederzuschreiben, und in einer Jugendzeitschrift wurden sie dann gedruckt, so dass viele Kinder sie kennenlernen konnten. Sie sind nun
gesammelt worden, und eine kleine Anzahl wurden in dieses Bändchen aufgenommen.

Michael Bauer war ein Lehrer, zu dem wir alle gern in die Schule gegangen wären. Er war groß gewachsen und sah sehr streng aus, aber aus seinen Augen leuchtete Güte und Wärme; die Kinder fühlten sich bei ihm geborgen und verstanden.

Er war streng insofern, als er die Kinder zur Arbeitssamkeit anleitete und von ihnen verlangte, dass sie ihre Pflichten ausführten auch dann, wenn es ihnen nicht sonderlich behagte. „Dadurch stärkt sich Eure Willenskraft,” ermunterte er und stand ihnen helfend bei in der täglichen Übung der Pflichterfüllung, die er ihnen aufgab. Und die Kinder folgten ihm, weil sie ihren Lehrer liebten.

Michael Bauer war auch sehr darum besorgt, dass die Kinder in der Schule nicht nur Wissensinhalte vermittelt bekamen, sondern dass auch die Phantasiekräfte und die Kräfte des Gemüts, des Mitfühlen-Könnens ausgebildet wurden. Darum erzählte er ihnen Geschichten. Die Kinder erlebten im Zuhören innere Bilder, sie sahen gleichsam, was ihnen als Erzählung dargeboten wurde und durch die warme Stimme ihres Lehrers in ihre Seelen drang.

Aus dem Schatz, den die Kinder namentlich aus den naturkundlichen und geschichtlichen Schilderungen in ihr Herz aufgenommen hatten, sollten sie anschließend lernen, zunächst mit Hilfe des Lehrers, Gedanken zu bilden. Dabei war Michael Bauer bedacht, den Schülern immer weniger zu geben und sie mehr und mehr selber finden zu lassen. Denn er wollte sie zu selbständigen Menschen erwecken, so dass sie allseits gebildet, frei ihre Aufgabe im Leben zu ergreifen vermochten.

Michael Bauer erstrebte sehr hohe Ziele in seinem Unterricht. Aber was er von anderen als Lehrer forderte, das forderte er in noch strengerem Maße von sich selber. Und weil er selber ein unentwegt Lernender und Strebender war, darum war er auch so ein anregender, weckender Lehrer.

Ein Mann, der ihn als Kind erlebt hat, hielt seine Erinnerung an die Ausflüge mit Michael Bauer in folgender Schilderung fest:

„Das Schönste war, wenn wir zusammen einen Wanderausflug machten. Michael Bauer war «draußen» von einer Aufgeschlossenheit, die sich allerdings nicht in Worten äußerte. Die Natur schien ihn zu lieben und es war unglaublich, was er alles sah. Mir wäre es weiter nicht verwunderlich gewesen, wenn er angefangen hätte, den Vögeln zu predigen, wie weiland sein berühmter Vorfahre Franz von Assisi. Er ging beschwingt durch die Natur und war erfüllt von einer fröhlichen Frommheit. Er konnte liebevoll eine schöne Baumgruppe betrachten und man sah mit seinem Blick in einer einfachen Landschaft Wunder der Schönheit.

Wenn wir dann irgendwo im Walde oder in einem ländlichen Gasthaus bei Milch und Butterbrot rasteten, dann geriet er in eine behagliche Stimmung und erzählte ergötzliche Geschichten aus seiner Bauernjungenzeit, wobei er in seinen heimatlichen Dialekt verfiel, was einfach köstlich war. Er war wieder der junge Bären-Michel und ritt auf der Weide den Stier. Diese und ähnliche Jugendgeschichten sind in der Zeitschrift «Jugendlust» veröffentlicht worden. Jeder solcher Ausflugstag war herausgehoben aus dem alltäglichen Leben und leuchtete fort in heiterem Glück. Bei den Ausflügen saßen wir Kinder um ihn herum auf einer Waldwiese oder auf einem Berg in der
Fränkischen Alb und lauschten ihm. Er war ein Meister im Erzählen von Märchen und Geschichten. So berichtet eine einfache Frau, dass sie als Kind, obwohl sie gar nicht Schülerin von Michael Bauer war, jeden Tag auf ihn gewartet hätte, um auf dem Schulweg von seinen Märchen zu hören.“
Hans Rudolf Niederhäuser