Das Barnabasevangelium und die Wiederentdeckung des Judenchristentums

MIT EINEM ANHANG DES NACHDRUCKS VON GOTTHOLD EPHRAIM LESSINGS Neuer Hypothese über die Evangelisten als blos menschliche Geschichtsschreiber betrachtet (Wolfenbüttel 1778)

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Das Barnabasevangelium hatte durch die Vermittlung von John Tolands Schrift „Nazarenus“ (1718) einen bislang nicht wahrgenommenen Einfluß auf die Vordenker der historisch-kritischen Bibelauslegung wie Reimarus, Lessing, Eichhorn und Baur bewiesen. Die heute längst vergessene „Urevangeliumshypothese“ Lessings (1778) und Eichhorns (1804), aber auch das Baur’sche Entstehungsmodell der frühen Kirche konnten tatsächlich erst mit Tolands Wiederentdeckung des Judenchristentums als des Glaubens der Jünger Jesu und des von diesen benutzten hebräischen Evangeliums plausibel begründet werden. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen, die es als eine plumpe muslimische Fälschung verkannten, identifizierte Toland das Barnabasevangelium als ein frühes judenchristliches Evangelium, das von der muslimischen Tradition aufgenommen und tradiert worden war – und erntete dafür damals nichts als Häme und Spott.
Erst in jüngerer Zeit wurde seine Hypothese von den Orientalisten Shlomo Pines (1966), Marc Philonenko (1974) und Luigi Cirillo (1975) wieder aufgenommen – dieses Mal, ohne von seiten der christlichen Theologie auch nur beachtet zu werden. In der Folge einer solchen Ignoranz konnte es dem Mainstream akademischer Bibelforschung nur verborgen bleiben, daß Lessings „Urevangeliumshypothese“ durch eine 1966 wiederentdeckte judenchristliche Quelle sowie zahlreiche Resultate der neutestamenlichen Textforschung indes nachhaltig bestätigt wird. Die hier vorgelegte Schrift soll ein erneutes Plädoyer für die Toland’sche Position sein und auf eine künftige umfassende historisch-kritische Analyse des Barnabasevangeliums vorbereiten.