Das Kriegshandwerk der Deutschen

Preußen und Potsdam 1717-1945

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Kriegsgeschichte ist Teil der allgemeinen Geschichte und darum ist die deutsche Militärgeschichtsschreibung ein wichtiger Bestandteil unserer ureigensten „Universalgeschichte“. Nur in diesem Zusammenhang lässt sie sich auch deuten. Die Militärerziehung und Ausbildung in der Preußisch-Deutschen Armee war geradezu vorbildlich und Teil des militärischen Erfolges. Die Erziehungs- und Ausbildungskultur vergangener Streitkräfte steht jedoch vielfach im Hintergrund historischer Bewertungen. Die sich am geistigen Fortschritt orientierenden preußischen Heeresverfassungen waren ein reales Spiegelbild vom Bildungsniveau der Gesellschaft und lassen daher auch militärsoziologische Rückschlüsse zu. Die Bildungsgeschichte Deutschlands stand also immer im Zusammenhang mit der Entwicklung des preußischen Militärwesens. Der Aufstieg des preußischen Staates zur europäischen Großmacht hätte ohne seine Bildungsreformen, die in zivilen und militärischen Schulen gleichermaßen Anwendung fanden, nicht stattfinden können. Letztendlich trug hauptsächlich die geistig- militärische Kompetenz des preußischen Staates zur Bildung des deutschen Einheitsstaates von 1871 bei. Die Reichseinigung von 1871 bleibt ein Höhepunkt in unserer Nationalgeschichte. Gründliche Aufklärung zum beschriebenen Sachverhalt, mit einer Gesamtchronologie des Themas, Militär und Erziehung, hätte das Heeresarchiv in Potsdam liefern können. Am 14. April 1945 gingen jedoch fast alle archivarischen Quellen des Preußisch-Deutschen Heeres, mit all seiner ambivalenten Kriegsgeschichte, unter. Ein unermesslicher Verlust von geschichtlicher Bedeutung, mit politischen Langzeitfolgen, denn es hatte auch etwas mit dem Verlust der Archive zu tun, dass die Nachkriegsbetrachtung preußisch-deutscher Militärgeschichte oft undifferenziert und einseitig ausfallen konnte. Dass aber Potsdamer Aktenreste aus der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres noch erhalten geblieben sind und von der Roten Armee beschlagnahmt wurden, gilt inzwischen als sicher.
Nach 1945 musste in beiden deutschen Staaten eine Neudeutung der deutschen Geschichte festgestellt werden. Nach dem Verursacherprinzip des Zweiten Weltkriegs und dem Völkermord an den europäischen Juden schien das damals auch ohne Alternative, weil ja alle moralischen und ethischen Grundsätze der alten Ordnung keine Rolle mehr spielten. Aber die Umwidmung fand unter Inkaufnahme von Verlusten der nationalen Identität und teils sogar auf Kosten der historischen Wahrheit statt. Ja, es kam noch schlimmer, als man in Ostdeutschland damit begann, deutsche Geschichte im Sinne einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung umzuschreiben. So mussten mehrere Generationen mit solchen neuen Geschichtsdarstellungen aufwachsen, ohne je etwas anderes erfahren zu dürfen. Wie wir heute wissen, ist Geschichtsfälschung ein hilfreiches Werkzeug für jede Diktatur. Deshalb ist geschichtliche Instrumentierung immer auch ein Angriff auf die Gesellschaft, die sich mit neuen Forschungsansätzen dagegen wehren muss! Eine quellenkritische Auseinandersetzung und textkritische Neubewertung der frühen Nachkriegsbetrachtung preußisch-deutscher Militärgeschichte ist daher weiterhin notwendig. Heute reicht es freilich nicht aus, Geschichte nur so zu verstehen, wie sie uns beschrieben wurde. Viel wichtiger scheint die Frage nach dem Warum und wie es zu bestimmten Entwicklungen überhaupt kommen konnte. Es beginnt also die mühsame Suche nach glaubhaften Primärquellen, die mit zeitgeschichtlichen Erkenntnissen abgeglichen werden müssen. Wenn mit diesem Buch auch nicht die Rechtfertigung eines überholten Geschichtsbildes altmilitärischer Tradition betrieben werden soll, so glaubt der Verfasser doch, versäumte oder erst gar nicht gestellte Fragen, die auch etwas mit unserer demokratisch bestimmten Daseinsform zu tun haben, beantworten zu müssen. Die erstaunliche Überlegenheit des preußisch-deutschen Militärwesens hing mit einer sehr komplexen und erfolgreichen Erziehung in perfekt organisierten militärischen Lehranstalten zusammen. Viele Impulse gingen in dieser Hinsicht von Potsdam aus. Diese militärische Erziehungs- und Ausbildungskultur gibt also Antworten darauf, warum alles so reibungslos funktionierte, selbst bis 1945! Wer sich gedanklich und inhaltlich auch mit dem düsteren Kapitel des Nationalsozialismus, sozusagen dem marginalen Endpunkt aller deutschen Kriegsgeschichte, auseinandersetzen will, um Zusammenhänge besser zu verstehen, muss daher in der Geschichtsschreibung weit zurückgehen, sehr weit sogar! Das Wissen vom Ursprung, in Verbindung mit dem bewussten Endpunkt, ist für uns von größter Bedeutung, warum? Weil daraus mehr geschichtliches Staatsverständnis und darüber hinaus vielleicht auch ein wenig mehr Bekenntnisse zur eigenen Identität im heutigen Deutschland in Europa erwachsen könnte. Daher erhebt diese Schrift auch Anspruch, gesellschaftspolitischen Diskussionen nicht aus dem Wege zu gehen.
Gleichzeitig sollen dem Leser militärische Sachbegriffe zur Problematik der Taktik, zu verschiedenen, teils grausamen Waffensystemen und zu alldem, was die Professionalisierung des Kriegshandwerks der Deutschen in den letzten 200 Jahren ausgemacht hatte, näher gebracht werden.
Ob und inwieweit die hier dargelegte Geschichtsauffassung und – Interpretation des Autors Gehör finden wird, bleibt der geneigten Leserschaft oder vielleicht erst einer Einschätzung von morgen vorbehalten. Freilich ist eine erschöpfende Auskunft zur gesamten Kriegsproblematik der Deutschen, auch zu wichtigen Fragen von Schuld oder Versagen, mit dieser Studie weder möglich noch beabsichtigt gewesen.