Das Opfer

von

Nach Saul Bellows internationalem Erfolg Herzog wandte sich die Aufmerksamkeit der Kritik von neuem seinen früheren Büchern zu. In deutscher Sprache liegen vor Die Abenteuer des Augie March und Der Regenkönig – die beiden großen Vorgänger von Herzog – und Das Geschäft des Lebens. Das Opfer ist Bellows zweiter Roman.Dieses Buch, der Tradition des europäischen psychologischen Romans mehr verpflichtet als die späteren Werke Bellows, zeigt alle glänzenden Fähigkeiten dieses ungewöhnlichen Autors: die Brillanz der Sprache, die Originalität der Einfälle und die glückliche Verbindung einer spannungsgeladenen Atmosphäre mit gedanklicher Tiefe.Das Opfer? Ist es der Journalist Asa Leventhal, der nach wahren Irrfahrten des Lebens zu einer guten Position bei einer Zeitung gelangt ist und der nun die mühsam erworbenen Annehmlichkeiten des Daseins, seine innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit durch die unerwarteten bitteren Anschuldigungen eines längst vergessenen und plötzlich aufgetauchten Bekannten ins Wanken geraten sieht? Oder ist Allbee das Opfer, der Mann mit den zerschlissenen Kleidern und einem vom Alkohol gedunsenen Gesicht, der sich immer wieder Leventhal in den Weg stellt und ihn für sein Mißgeschick verantwortlich macht? Obwohl Leventhal weiß, daß Allbee sein Unglück selbst schuld ist, beginnen, ohne daß er sich dessen eigentlich bewußt wird, Zweifel in ihm zu nagen. Wie weit ist ein Mensch am Unglück eines anderen mitschuldig? Die Frage Dostojewskis, die alte Kain- und Abel-Frage, eine Urfrage der Menschen.Wie Allbee sich in Leventhals gepflegter Wohnung einnistet und dort Unruhe und Unordnung hineinbringt, wie er immer neue Forderungen an sein Opfer stellt und ihm allen Seelenfrieden raubt, wie dieser verzeifelte Kampf um Schuld und Unschuld mit dem ungebetenen Gast zu einem Alptraum für Leventhal wird, aus dem dieser schließlich doch erlöst wird, das erlebt der Leser in einem brillant komponierten, geradezu unheimlich spannenden Roman, der Saul Bellow die erste internationale Anerkennung eintrug. Und wieder ist man versucht zu sagen, der große, wirklich bedeutende Autor ist in seinem Anfang, in seinen ersten Büchern, die Ankündigung seiner selbst, die Ankündigung des Ungewöhnlichen in der Literatur.