Das Spiegelbild

Roman

von

lrina Korschunow erzählt in ihrem neuen Roman zwei Lebensgeschichten, die sternenweit voneinander entfernt scheinen, die Geschichte der Annette von Droste-Hülshoff, der Dichterin aus der Biedermeierzeit, und die von Amelie Treybe, der Journalistin, gerade 42. Alles beginnt an einem Herbsttag des Jahres 1992, als Amelie im grauen Turm der Meersburg die beiden Porträts betrachtet, die über dem Sterbebett der Droste hängen, die junge, lebensvolle Annette in Hellblau, daneben die dunkle, alte Frau mit dem Tod im Gesicht. Ein Moment der Trauer über das, was ein Schicksal anzurichten vermag, ein magischer Augenblick, in dem dieses seltsam widerspüchliche Leben noch einmal aufgerollt wird im Zwiegespräch zwischen Amelie aus dem Wohnküchenmilieu und dem Edelfräulein aus dem Münsterland, als wären die tote Annette und die junge Frau von heute Freundinnen. Unmerklich kunstvoll verschlingen sich über 150 Jahre hinweg die beiden Lebensläufe, wobei die Autorin den jeweiligen Geschichten freien epischen Lauf läßt. Im Spiegelbild von Amelie, die, zermürbt vom Lebenskrieg der Mutter und den Wechselfällen der Liebe, mit gestutzten Flügeln der Freiheit entgegenzufliegen sucht, erscheint die leise, schleichende Tragödie Annettes, das wunderliche, verrückte Unglück der wilden Muse im zu eng geschnürten Korsett, die mit ihren schönsten Gedichten in der Nachwelt lebt, aber ihr eigenes Lebensglück versäumte.

Dieser Roman um Annette von Droste-Hülshoff, orientiert an biographischen Fakten, dem Werk und den Briefen, ist keine Biographie im traditionellen Sinn. Er ist vor allem ein Liebesroman. Die Unlösbarkeit des Problems der Liebe und die Schwierigkeit, sich aus dem Netz von Zwängen zu befreien, ist der Brückenschlag zwischen den beiden Jahrhunderten. Obwohl lrina Korschunow diesmal eine andere literarische Form gewählt hat, ist sie doch die leidenschaftliche Erzählerin geblieben, die wir aus ihren früheren Romanen kennen.