Der gescheiterte Scheiterhaufen

Mikro-Geschichten

von

Mirko-Geschichten
Die Inspiration zu vielen Geschichten in diesem Buch stammt von den brasilianischen microcontos, also sehr kleinen Geschichten.
Diese Form hat sich im Lauf des 20. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel, vor allem aber im gesamten lateinamerikanischen Raum – wenn auch von der Literaturwissenschaft ein wenig kritisch beäugt -, zu einer eigenständigen Gattung entwickelt und strahlt längst in andere Teile der Welt aus.
Manche sagen, sie sei die jüngere Cousine der französischen Gattung des Prosagedichtes oder stellen sie in eine Reihe mit japanischen Kurzgedichten, wie etwa dem Haiku. Andere Bezeichnungen wären minificciones, cuentos brevísimos, minicontos oder nanocontos.

Nanus, im Lateinischen der Zwerg, zeigt schon die Dimension auf. Und doch gelingt es diesen Zwerglein unter den Geschichten, wesentliche Bereiche des Lebens in oft nur ein oder zwei Zeilen zu bündeln. Es sind nachhaltige Schnappschüsse, die, anders als normale Kurzgeschichten, vieles Ausschmückendes, rein Atmosphärisches aussparen müssen und oft nicht mehr als eine in sachlicher Sprache verfasste Skizze, ein essayistisches Fragment oder sogar nur ein Aperçu oder eine Pointe sind.

Klar erkennbar am besonderen Beispiel eines Textes von Cíntia Moscovich:

Ein ganzes Leben vor sich. Der Schuss kam von hinten.

Eindrucksvoll wird die Geschichte einer Person erzählt, die von hinten ermordet wird. Ausgespart bleibt, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt, wo die Tötung stattfindet, ob die Person dünn oder dick ist, schön oder hässlich, gut oder böse; wie sie gelebt hat. All diese Lücken muss die Leserin, der Leser mit Hilfe der Fantasie selbst füllen.
Aber sollte nicht jeder gute Text so beschaffen sein?