Der Liebesbegriff bei Augustin

Versuch einer philosophischen Interpretation

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Das Erscheinen von Hannah Arendts Dissertation über den »Liebesbegriff bei Augustin«, 1928 bei Karl Jaspers eingereicht, stieß auf eine beachtliche, aber ambivalente Resonanz im akademischen Milieu. Denn die erst 22-jährige Studentin aus jüdisch-assimiliertem Bürgertum konzentrierte sich in ihrer Arbeit dezidiert auf das philosophische Potential Augustinus’, immerhin eine der Hauptfiguren der christlichen Kirche, und ließ die theologische Debatte ihrer Zeit weitgehend außer Acht.
 Vielmehr behandelt das Buch aus existentialistischer und phänomenologischer Perspektive die Liebe als intersubjektives Phänomen. In der Auseinandersetzung mit Augustinus, der mit den Confessiones die Gattung der Autobiographie begründete, bedeutet dies insbesondere die Klärung des Zusammenhangs von inner- und transsubjektiven Verhältnissen: den Bezug zu Gott, das Verhältnis zum eigenen Selbst und beider Rückwirkungen auf das Verhältnis zum Anderen, zum Nächsten.
 Im Zentrum steht die Frage, inwieweit wir zu einer Liebe befähigt sind, die uns als gemeinschaftliche Wesen ausweist. Arendt untersucht zunächst das Phänomen Liebe als Begehren, bevor sie ausführlich und unter verschiedenen Perspektiven die augustinische Liebeskonzeption, vor allem das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf und das Konzept der Nächstenliebe, analysiert. Anschließend fragt sie, wie Augustinus den Übergang von einer civitas fidei zur civitas socialis zu begründen versucht. Der ihrem Abschlusskapitel titelgebende Begriff der vita socialis weist bereits auf ihre späteren Werke voraus.
 Die Ausgabe bietet eine vollständige Übersetzung aller griechischen und lateinischen Originalzitate, Register und einen einführenden Essay der Herausgeberin.