Der Vorübergang

Prosa

von

Haltet mich für verrückt, wenn ihr wollt, aber ich habe keinen Augenblick gezweifelt, dass der Meister lebt. Nur gestaunt habe ich, mich gefreut. Auch jetzt staune ich.
Es war still. Die Rauchsäule stieg aus dem weißen Tempel hinter uns. Die Soldaten kamen näher.
Ich verstehe dich, sagte Mutter.
Und was haben die Männer gesagt? fragte Vater.
Verrücktes Weibergeschwätz, antwortete Maryam.

Im besetzten Israel war der Tempelberg fast ausgebaut – ein Wunderwerk der Antike. Man spricht längst nicht mehr Iwrit, sondern Aramäisch, als Jeschua – Jesus – nach kurzem Prozess hingerichtet wird. Der Vorarlberger Autor Willibald Feinig achtet auf solche Umstände und erzählt das vermeintlich bekannte Ostergeschehen neu aus der Perspektive einer Frau, die als Kind Pas’cha, Vorübergang, wie jedes Jahr mit der Familie in Jerusalem verbracht hat. So lässt er »die Geschichte wie nie gehört erfahren« (Marianne Gronemeyer), »so, dass auch der Zweifel seine Würde behält« (Norbert Loacker).
„Der Vorübergang“ entstand während der Osterquarantäne 2020 und erscheint im Februar 2021 im Verlag Bibliothek der Provinz zusammen mit drei anderen Erzählungen: „Glöckel“ (über die Gründung einer Reformschule in den Trümmern der k. u. k. Monarchie), „Hinter dem Kreuzberg“ (über Abschied und zugleich Einandernäherkommen eines Schweizer Managerpaars im Hochgebirge) und „Ero“ über die illegale Landung afrikanischer Flüchtlinge an einem Mittelmeerbadestrand.