Die Circe, der Pfau und das Halbblut

Die Filme von Fritz Lang 1916-1921

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Im Januar 1919 wird der damals 28jährige Fritz Lang erstmals als aufstrebender Regisseur in der Presse erwähnt. Nach frühen Arbeiten für die May-Film-GmbH ist er zwischen 1919 und 1921 vorwiegend für die DECLA als Drehbuchautor und Regisseur tätig. In dieser Zeit entstehen Filme wie Halbblut, Totentanz, Der Herr der Liebe, Pest in Florenz und Harakiri.

Obwohl nur noch spärliches Filmmaterial aus dieser Zeit überliefert ist, kann man sich anhand der zahlreichen Artikel in der zeitgenössischen Presse eine Vorstellung von Fritz Langs früher Arbeit machen. Georges Sturm gelingt es so, eine Chronologie von Langs kinematographischen Aktivitäten in den Jahren 1916-1921 zu erstellen, indem er deren Spuren in der Fachpresse – Vorankündigungen, Berichte von Dreharbeiten, Premierenberichte, Kritiken, Plakate, Zeichnungen – aufspürt und auswertet. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Werbe- und Imagestrategien sowohl der Filmindustrie, die zu dieser Zeit rasante ökonomische und ideologische Veränderungen erfuhr, als auch Fritz Langs selbst, der um die Weiterentwicklung seiner Karriere und um Absetzung von anderen Filmschaffenden bemüht war.

Um den Einfluß Thea von Harbous einschätzen zu können, der Lang wahrscheinlich Ende 1919 begegnete, stellt Sturm von Harbous frühe Drehbuchentwürfe (Die heilige Simplicia, Die Frauen vom Gnadenstein und Der Leidensweg der Inge Krafft) den Filmen gegenüber, die auf mit Lang gemeinsam verfaßten Drehbüchern basieren: Das wandernde Bild und Kämpfende Herzen.

Langs Arbeit und die Rezeption seiner Filme werden durchgehend nicht nur in ihrem kinematographischen Umfeld – z.B. in der Rivalität zu anderen Filmen –, sondern auch im gesamtkünstlerischen, kulturhistorischen Kontext von Theater, Literatur und Malerei der Zeit gesehen, so daß auch verschiedene ideologische Aspekte berücksichtigt werden können, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts virulent waren.

Von einer prosaischen Arbeit ausgehend, die alles in allem darauf ausgerichtet wäre, Langs legendäre Arbeitstagebücher zu rekonstituieren, ein Logbuch zu erstellen, wie es Jay Leyda mit Melville gemacht hat, gelangt der Leser mit Verblüffung zu formalen Anhaltspunkten und thematischen Vernetzungen. Sturm weist darauf hin, dass die für das Werk des Regisseurs so zentrale Metapher des Kinos im definitiven Titel von MADONNA IM SCHNEE: DAS WANDERNDE BILD enthalten ist, was sowohl die sich bewegende Marienstatute meint als auch das Lebende Bild (ein Synonym für Kino).

Er stützt sich auf seine einwandfreie Dokumentation, um zwei wichtige Fragen herauszuarbeiten: die Ursprünge der Arbeit Langs als Erzähler und die Rolle der Frau in seiner Fiktion. Das ermöglicht ihm einen Zeitsprung bis in die amerikanischen Jahre, wo er in SCARLET STREET – Langs großem Film über Frau und Begierde, von dem er sagte: „I put a lot of myself in it“-, die „Übertragung der Motive“ und der „einheitlichen narrativen Elemente“ aus den Filmen von 1919 findet.

Ein weiterer Kern der Untersuchung ist die Herausarbeitung der ideologischen Vernetzungen der Geschichten, die Lang erzählt, genauer gesagt, deren Verbindung mit bestenfalls frauenfeindlichen und kolonialistischen, schlimmstenfalls rassistischen Anschauungen. Typisch dafür ist der Titel seiner ersten Regiearbeit HALBBLUT.

Sturm macht „Zeichen ausfindig“, „die eine Epoche gemeinsam hat“, die „Teil eines Repräsentationssystems sind, das sie nicht in Frage stellt, sondern in der Mehrzahl der Fälle bestätigt.“ Er zeigt, inwieweit diese Fiktionen sich als „Teil der politisch-philosophischen Debatten über die Begriffe Rasse und Vererbung“ vom Ende des 19. Jahrhunderts erklären.

Bernard Eisenschitz