Die Dorfbrunners Ι

Roman

von

Ihre Schlafstelle war auf dem Boden der Scheune versteckt, die nur über die Leiter zu erreichen war, die der Bauer, Herr Ludwig Lorch, über Nacht und am Tag an anderer Stelle unter dem Heu versteckte, wenn sie zum Rauf- oder Runterklettern nicht gebraucht wurde. Mutter Hartmann wusch sich im Haus des Ehepaares und nahm die Mahlzeiten im Nebenraum ein, um unverhofften Besuchern beim Zählen der Teller und Tassen auf dem Tisch den Verdacht auf einen weiteren Esser nicht aufkommen zu lassen. Das Ehepaar hatte Hunde, aber keine Kinder, so dass das erdenkliche Maß an Sicherheit gegeben war. Mit dem Augenblick, als Herr und Frau Lorch die Jüdin versteckten, entschlossen sie sich zu einem zurückgezogenen Leben, um die Neugierde der Dorfbewohner nicht zu wecken. Um das Leben einer Jüdin zu retten, taten Menschen eines kleinen Bauernhofes Dinge, die im wahrsten Sinne christlich, und selbst für Christen einmalig und unglaublich waren.
Das weitere Problem war an eine Todesbescheinigung für Frau Hartmann zu kommen. Da zeigte sich ein anderer Mensch einsichtig und mutig. Es war der Standesbeamte Georg Groß, ein alter Schulfreund von Eduard Hartmann. Dieser Beamte, dessen Großmutter keine reine Arierin war, weil sie das jüdische Blut vom Urgroßvater hatte, was er anlässlich der Verordnung zur Beschaffung des arischen Nachweises für sich und seine Familie in einem vertraulichen Gespräch dem damals vor dem Ruhestand stehenden Pfarrer Hartmann anvertraute, verstand die Bedeutung der Todesbescheinigung für einen Menschen, der noch lebte, aber ohne die Bescheinigung des Ariernachweises deportiert und mit großer Wahrscheinlichkeit getötet würde. Der Beamte Groß sagte sofort seine Unterstützung zu und brachte die zum Überleben notwendige Todesbescheinigung mit Unterschrift und offiziellem Stempel wenige Tage später persönlich.