Die Schwere Not

Eine Erzählung aus Sankt Petersburg im Jahre 1838

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Die satirische Erzählung von Ivan Gončarov erschien 1838 in der Hauszeitschrift eines bekannten Petersburger Salons, die nur in einem winzigen handgeschriebenen Exemplar existierte. Sie ist zu Gončarovs Lebzeiten nie gedruckt und selbst der russischen Öffentlichkeit erst 1937 bekanntgemacht worden. Bis heute fehlt sie in den Gesamt-Ausgaben des Autors, der mit seinem 1859 erschienenen Roman Oblomov zum Klassiker der russischen Literatur wurde. Die 20 Jahre vor Oblomov geschriebene Erzählung ist ohne Zweifel eine Vorstudie zu jenem Inbegriff russischen Wesens. Die Schwere Not, eine Krankheit, die zu Beginn in einem medizinischen Bericht beschrieben wird und in immer neuen komischen Wendungen zur Epidemie fortschreitet, ist die Sucht, spazieren zu gehen. Der Erzähler deutet an, daß er seine Freunde durch diese Epidemie verloren hat. Die Personen, die von der Krankheit befallen werden, treffen sich im Salon der Zurovs, wir sind in Petersburg im Jahre 1830-40. An langen Winterabenden werden Gespräche über Kunst und Literatur geführt, man pflegt der Musik. Im Frühjahr zeigen sich die ersten Zeichen der Unruhe, alle sind erregt, merkwürdige Verzerrungen zeichnen die Gesichter. Vater Zurov, die Ehefrau, die halbgelähmte Großmutter, der Professor, eine Nichte, der rätselhafte Staatsrat a. D. Verenicyn – sie alle brechen auf und ruhen nicht eher, bis ihre unstillbare Sehnsucht nach frischer Luft und unberührter Natur für kurze Zeit befriedigt ist. Und während der rastlosen Spaziergänge ereignen sich schreckliche Dinge, die Gesellschaft stürzt in Schluchten, wird von Hunden überfallen, durchnäßt, und wann immer der Leser meint, daß eine Steigerung der Komik nicht mehr möglich wäre, passiert wieder Unglaubliches. In Tjazelenko, Freund des Erzählers und auch der Zurovs, der die meiste Zeit im Bett verbringt und deshalb vor der Ansteckung bewahrt bleibt, beschreibt Gončarov den Gegenpol zur rastlosen Gesellschaft.