Die Sprachenauseinanderdriftung

Peter Handke und Lojze Wieser im Gespräch mit Frederik Baker

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Dieses Gespräch entstand während des Filmportraits »Lojze Wieser – unter Druck« (ORF, Produzent Franz Grabner 2008). Es war der erste zweisprachige, deutsch-slowenische Film, der im österreichischen Fernsehen gezeigt wurde. Anfangs ein Gespräch mit Lojze Wieser, wurde es, als Peter Handke mit Pilzen von seinem Waldspaziergang zurückkam, ein wundervolles, dynamisches Zweiergespräch. Es waren keine »magischen Pilze – magic mushrooms«, aber schon bald nahm das Gespräch eine magische Qualität an.

In meiner 20-Jährigen journalistischen Karriere habe ich schon sehr viele verschiedene Menschen interviewt. Gorbatschow hielt einen Monolog, Yoko Ono, »stream of consciousness-ed«, aber Lojze Wieser und Peter Handke haben etwas Besonderes gemacht – sie haben sich duelliert – zwei alte Freunde, die ihren Intellekt geschickt sprühen lassen und in einer jovialen Mischung aus Respekt und dem Anderen immer um eine Nasenlänge voraus zu sein sich einen Schlagabtausch liefern. Vertreter von höchstem Gedankengut: Auf der einen Seite waren sie voll der Weisheit ihrer Jahre, und auf der anderen Seite wie verspielte Buben, die sich gegenseitig provozieren.

Es war ein Privileg, an einem sonnigen Herbsttag, mit Blick auf die Adria in ihrer Gegenwart zu sein. Plaudernd, hoch oben in der Karst-Landschaft, fühlte es sich an, als wären wir in einem hängenden Garten und alle ethnischen Unterschiede werden irrelevant. Ihre Abenteuer in der slowenischen und deutschen Sprache führten zurück nach Babylon.

»Man sagt ja immer, dass der Turmbau von Babel, das sei so eine Katastrophe gewesen, für die Menschheit. Dass alle Sprachen sich verwirrt hätten. Ich finde, eher das Gegenteil: Es ist ein großer Moment gewesen, wo die vielen verschiedenen Sprachen entstanden sind und auf diese Weise die Bilderwelt immer fruchtbar [geworden] ist. Es ist eine große, eine segensreiche Geschichte gewesen. Nicht der Turmbau, aber die Sprachenauseinanderdriftung!«

Indem er die Legende von Babylon auf den Kopf stellt, findet Handke klare Worte um den babel Babylons eher zu feiern als zu bestrafen. Sprachenauseinanderdriftung – was für wunderbares deutsch-englisches »babel«-Wort! Es ist eine Vorahnung von Lojze Wiesers Vision, die er ein paar Tage später im Gespräch mit mir formulierte. Dass Sprache ein Prozess ist, eine dauernde Weiterentwicklung erfährt, sich verändert, aus anderen schöpft, was in der Folge auch zu neuen Sprachen führen kann.

Der babylonische Dialog nimmt seinen Platz neben Italo Calvino´s »Notizen für das nächste Jahrtausend« ein, als Aufschluss für das Potenzial der Literatur. Calvino sagt, dass Mannigfaltigkeit nach wie vor eine Haupteigenschaft und notwendig für das Überleben der Literatur im 21. Jahrhundert sei. (Frederick Baker)