Die Stunde zwischen 3 und 3

Novelle

von

Wer schläft, sündigt nicht. Oder ist einer, der schläft, nicht doch ein schlafender Sünder? Was ist der Unterschied zwischen Wachsein und Träumen?
Fred Honigmann, einst Geisteswissenschaftler mit Ambitionen, ist ein über-wacher Überwacher in der U-Bahn. Von höherer Stelle wird auch er überwacht. Allnächtlich wirft er sein Auge ins Feld, nimmt die ein- und ausdonnernden Züge, die Bahnsteige und Schienen unter die Lupe, ver- dächtiges Gepäck, zoomt sich die Menschen heran, wieder und wieder. Führen sie etwas im Schilde?
Du kannst nicht abschalten, klagt Silke, seine Frau. Auch wittert sie eine Nebenfrau. Eines Tages ist Silke weg und mit ihr Tochter Sonja. Fred träumt, dass diese eines Tages wie selbstverständlich zu ihm zurückkehrt. Sie könnte ihm beistehen heute – am Jahrestag einer Schuld. Geschehen in der Stunde zwischen 3 und 3 Uhr, wenn der Sommer in Winter um-schlägt. Hat es wirklich niemand gemerkt?
Wie der Tunnelwind den Zug ankündigt und die Menschen am Bahnsteig erwartungsvoll strafft, so zieht dieses Sprachkunstwerk die Lesenden in seinen Sog: eine Parabel über den wachenden wie seinerseits überwachten Menschen, der eine der stärksten Signaturen unseres Zeitalters ist.