Die verschwiegenen Engel

Aufsätze zur österreichischen Literatur

von

‚Jede Sprache hat ihr eigenes Schweigen‘, hält Elias Canetti in einer Aufzeichnung des Jahres 1942 fest. Es ist eine Art Selbsttranszendenz der Sprache, die er da anspricht, gegründet auf die Überzeugung, dass, die paradoxen Lockungen des Schweigens die eigentlichen Produktivkräfte der Sprache sind. Spätestens seit Rilke wird dieses ‚Jenseits‘ der Sprache auf die umfassendere Entrücktheit der Engel bezogen. So gesehen, repräsentiert die Engelssphäre das weite Feld sprachlicher Grenzüberschreitungen, das tendenziell Abwesende der Sprache, in dem ihr Verbrauchtes geläutert und verjüngt wird. Zur Methode erhoben, kennzeichnet diese fundamentale Askese in erster Linie den Sprachgebrauch der Poesie. Poesie sondiert, was Sprache überhaupt noch vermag, und frischt auf diese Weise das Abenteuer sprachlicher Welterkundung von Mal zu Mal auf.

Aus verschiedensten Anlässen und über einen längeren Zeitraum entstandene Versuche über Bernhard, Canetti, Handke und Ransmayr: In den Werken, von denen in Gerhard Melzers Buch die Rede ist, steht das abenteuerlich Anfängliche dieses Vorgangs nicht immer und nicht durchgehend im Vordergrund; wohl aber scheint es unterschwellig in ihnen wirksam zu sein, gleichsam als Grundenergie, die den Anstoss zum Werk gibt, unabhängig davon, welche Gestalt es später annimmt. Daraus ergibt sich, dass es ursprünglich nicht diese Grundenergie ist, der die Beiträge des vorliegenden Buches ihre Aufmerksamkeit zuwenden; sie bleiben dem spezifischen Werkgestus verpflichtet – was sie aber an allgemeinen Zusammenhängen hervorkehren, verdankt sich der Vertiefung in das Spezifische, den untergründigen Strom, der die Werke durchströmt.