Die Winternacht

Erzählungen

von

Sechs Kurzgeschichten entführen in ebenso viele verschiedene Schicksale, die sich in einer Winternacht entscheidend verändern. Sie entführen uns nach Wien und St. Petersburg, ins Salzburgerland, nach Deauville, in die Wachau und ins Weinviertel.
Inmitten kalter Temperaturen wollen sie unterhalten und wärmen und die Hoffnung aufzeigen, die nie erfrieren soll.
Nach der Präsentation ihres ersten Romans „Schokolade und Stein“ veröffentlicht sie nun einen Band mit Winter-Geschichten, dem weitere für Frühling, Sommer und Herbst folgen werden.

Einladungen der Kinder gab es genug. Einmal im Jahr besuchte sie ihre Tochter in Washington, war Granny für zwei Wochen und ging täglich staunend durch die Flucht an hohen Räumen in dem eleganten Stadthaus. Dinnergesellschaften gab es da – bis zu zwanzig Menschen aus aller Herren Länder, in allen Hautfarben. Eines Abends fand sie sich zwischen einem japanischen und einem türkischen Diplomaten am Tisch. Das Englisch der beiden verstand sie nicht. Sie verstummte und beobachtete die anderen, lauschte dem Auf und Ab ihrer Stimmen und der Musik ihrer Unterhaltung, bewunderte ihre Tochter, die gelassen wirkte und sich in diesem Kreis wohl zu fühlen schien, genoss die Vorspeisen, winzige, exotische Häppchen, auch noch das Sorbet nach dem Fischgericht. Dann sagte der elegante Türke neben ihr – in seinem Versuch, ein Gespräch zu beginnen – ein Wort, das einem deutschen Schimpfwort sehr ähnlich klang. Und da war es plötzlich genug. Sie lächelte verletzt und gleichzeitig amüsiert, tätschelte dem ver dutzten Japaner zu ihrer Rechten die Hand, würdigte den noch verdutzteren Türken zu ihrer Linken keines Blickes und machte sich davon. Sie suchte und fand die Küche und darin die aus Puerto Rico stammende Köchin …