DOWN AND OUT IN MOSCOW

Miron Zownir

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Moskau 1995. Russland befindet sich auf dem Höhepunkt der post-sowjetischen Transformationskrise. Der erste Präsident Russlands,
Boris Jelzin, den sein Zögling Wladimir Putin später als „mutigen, kühnen Führer Russlands“ huldigen wird, ist nach der Auflösung der UDSSR bereits seit vier Jahren als an der Macht. Die weitreichenden Privatisierungsmaßnahmen unter der Führung Jelzins haben das Land ins Chaos gestürzt. Der enorme Transfer von Staatseigentum in die Hände von Oligarchen, die seine Regierung unterstützen, hat zur Verelendung von Millionen von Menschen geführt.
Als der deutsch-ukrainische Fotograf Miron Zownir im Sommer 1995 nach Moskau reist, herrscht dort ein sozialer Ausnahmezustand. Während die Weltöffentlichkeit auf den ersten Krieg in Tschetschenien schaut, den Jelzin seit einem halben Jahr führt, sterben daheim auf den Straßen der russischen Hauptstadt Menschen wie Fliegen, Obdachlose verwesen bei lebendigem Leibe, alte Frauen verhungern und verdursten, andere verkaufen ihr letztes Hab und Gut oder ihre geschundenen Körper. Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit findet Miron Zownir eine Situation vor, die er damals als „Dantes Inferno“ beschreibt. Die stille Brutalität seiner Fotografien kann man nur mit einer alptraumhaften Distanz betrachten. Sie dokumentieren ein zynisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für das Boris Jelzin, dem von seinem Nachfolger Wladimir Putin, lebenslängliche Immunität und Straffreiheit zugesichert wurde, trotz aller Korruptionsvorwürfe nie die politische Verantwortung übernehmen musste.
Heute, beinahe zwanzig Jahre später, spielt Putin in der Ukraine die gleiche Strategie seines Amtsvorgänger und Ziehvaters und sorgt für die mediale Ablenkung von den massiven innenpolitischen Problemen Russlands. Niemand spricht mehr von der Unterdrückung der Opposition, homophoben Gesetzen, Ermordung von Journalisten, internationalen Korruptionsverstrickungen. Geschweige denn vom menschenunwürdigen Leben der Ärmsten der Armen. Wer möchte schon den Blick ins Bodenlose wagen?
Miron Zownirs fotografische Dokumentation dieses unbeleuchteten Kapitels russischer Vergangenheit, die bisher von weiten Teilen der westlichen Welt ignoriert wurde, ist nun endlich unter dem Titel DOWN AND OUT IN MOSCOW im Berliner Pogo Books Verlag erschienen. Diese mutige Publikation, mit ihren erschreckenden Aufnahmen, liefert unantastbare Beweise eines Verbrechens gegen die Menschenwürde, das leider nie zur Anklage kam. Man kann sie als Aufforderung zur gesellschaftlichen und politischen Reflexion der Weltgeschichte verstehen.