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lyrische sonogramme

von

nach »Tauch ein« (1995) und »hautsterben« (2012) legt werner weimar-mazur mit »herzecho – lyrische sonogramme« seinen dritten gedichtband vor. die motivwelt der neuen gedichte ent­stammt zu einem großen teil der geologie, der autor arbeitet selbst als geologe, und der tierwelt. daneben finden wir motive der medizin und der archäologie. der medizinisch klingende buchti­tel, »herzecho – lyrische sonogramme«, passt, wie das cover-motiv, zu den medizinischen moti­ven, assoziiert jedoch auch echos der seele, deren sitz das herz sein sollte. griechisch kardia = herz ist verwandt mit lateinisch cardo = hauptpunkt, hauptachse, angelpunkt, drehpunkt, weltachse, pol, wendepunkt, türangel, eigentlich schwinge, spätlateinisch himmel. da das herz das zentrum des lebens bildet, konnte es lebensursprung sowie organ der liebe, heilung und auferstehung sein.

andere motive stammen aus der familiengeschichte. die mutter, thüringer herkunft, und der vater, mecklenburger polnischer abstammung, sind, meist eingebettet in kindheitserinnerun­gen, häufige figuren. zur empathie dieser gedichte gehört, dass sie oft ein du ansprechen, was ihnen teilweise etwas dialogisches gibt. mitunter wird ein wir aufgerufen, das sonst eher der lyrik slawischer länder eigen ist. durch seinen vater hat werner weimar-mazur ein verhältnis zu polnischen mentalitäten, was man bei verdichtungen seiner besuche in polen merkt, aber auch an polnischen tonfällen seiner lyrik. diese beschäftigung führt bis zur vorstellung, dass er bei andern lebensumständen auch in polen hätte aufwachsen können, und seinen anderen ursprung dann vielleicht im deutschen, und hier besonders in weimar und thüringen, suchen würde.

häufig erscheint auch die deutsche einfamilienhaussiedlung mit ihren bewohnern, häusern und gärten. letztere kann man, wie parkanlagen, als nachfolgeformen, nachahmungen oder variatio­nen des waldes sehen. in der zunächst realistisch geschilderten stadtwelt, die wiederholt phan­tastisch verfremdet und bisweilen auch ironisch betrachtet wird, geschehen jedoch unerwartete dinge. mitunter schieben sich, auf gefährdungen unserer lebenswelt verweisend, bilder von gewalt und krieg, oder auch moderner technik, in den alltag, oder in urlaubswelten, und bedro­hen so die tatsächliche oder scheinbare idylle, wie in »quittenland«:
»streunen kinder durch die nächte / sprühen sie schreie an wände / und gießen quecksilber übers trottoir / fallen auf dem boulevard schüsse / klopfen stimmen ans fenster / letzte nacht war es der regen«.