edition tieger

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Der französische Dichter Francis Jammes war in Literaturkreisen bereits durch seine Gedichte und den Roman Klara oder der Roman eines jungen Mädchens aus alter Zeit bekannt, als 1903 ein Pariser Verlag Le Roman du Lièvre veröffentlichte. In Deutschland begeisterte sich der Übersetzer, Grafiker und Verleger Jakob Hegner für das Buch, übertrug es ins Deutsche, und 1916 erschien Der Hasenroman im Hegner Verlag.
Das Werk wurde auch in andere Sprachen übersetzt und zu Francis Jammes’ größtem Erfolg. 1917 erhielt der Dichter den Großen Literaturpreis der Académie Française.

Liebevoll und poetisch beschreibt Francis Jammes in seinem Hasenroman die für die Pyrenäen typischen Landschaften mit ihren Wildrosenhecken, Lorbeerbüschen und Wäldern, die Vielfalt der Wildblumen, Kräuter und Moose, das unter der Sommerhitze fahl flirrende Licht vor dem Ausbruch eines Gewitters, wenn aus violettschwarzen Wolkenballen Stifte von Regen herabschießen auf die Hecke, unter der der Hase Schutz gesucht hat. Alles wird in Jammes’ Sprachkino vor den Augen des Lesers sichtbar: die Nachlese der Tiere auf abgeernteten Mais- und Kornfeldern, das Fest der Traubensammler, die Flügel der Tauben, die sich zu Kelchen formen, die Pappeln, die sich wiegen im Wind. Man schmeckt die herbe Minze und bitter den Quendel, wie der wilde Thymian auch genannt wird, ahnt den Honigduft der Süßdolde. Der Tau auf Gräserspitzen, die sich unter der Berührung des flüchtenden Hasen neigen, die Bewegung des Möhrenkrauts, das den Besuch der Gefährtin des Hasen ankündigt, werden durch die Worte des Dichters zu Bildern von poetischer Kraft.

Im Hasenroman schickt Gott den Schutzheiligen der Tiere auf die Erde. Wolf und Hunde, Tauben und Raubvögel, Schaf und Lämmchen und der Hase werden treue Begleiter des heiligen Franziskus auf seinem Weg. Durch ihn gewinnen sie Vertrauen, verlieren ihre Urangst voreinander und vergessen, dass sie zu Raub- und Beutetieren bestimmt sind. Von ihrem geliebten Freund wollen sie sich auch dann nicht trennen, als Franziskus ihnen rät, in anderen Landstrichen nach Nahrung zu suchen. Denn ‚der Schrei der ziehenden
Gänse verkündet eine Hungersnot, und dass es nicht in den Absichten des Himmels liegt, euch die Erde leicht zu machen‘.

Ausgerechnet dem erdverbundenen, ängstlichen Zweifler, dem Hasen, kommt dann die Aufgabe zu, seine verhungerten Freunde ins Paradies zu führen. Aber der Hase wird im Himmel der Tiere nicht glücklich. So sehr
sehnt er sich nach seinem irdischen Leben, dass er noch einmal auf die Erde zurückkehren darf, bevor sich sein Schicksal erfüllt.

Die Geschichte des Hasenromans entfaltet einen Zauber, der den Leser bis zur letzten Seite gefangen nimmt; sie kann auch als Parabel auf die Macht des Glaubens über den Zweifel verstanden werden.

Francis Jammes
Der Hasenroman
Halbleinen, Fadenheftung, 96 Seiten