EIKON Sonderdruck / Brian McKee, Detritus

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Das Desaster ruiniert alles
und belässt zugleich alles
in seinem Zustand.
Maurice Blanchot

Mit dem Zeitalter der Klassik und vor allem dem der Romantik wurde die Ruine nicht nur zu einem Ort gegenwärtiger Vergangenheit, sondern auch zu einem Ort vergangener Zukunft. Die „Architektur“ der Ruine mutierte zu einem ästhetischen Gebilde, in dem Vergangenes und Zukünftiges gewissermaßen in einer ewigen Gegenwart kollabierten und das Begehren nach dem Schönen als paradiesisches Verlangen sichtbar machte. Das Archäologische von Orten und Architekturen ist somit auch immer geschichtete Zeit, aufgehobene Zeit, kurz: Inschrift des Todes.

Wenn Roland Barthes einmal davon geschrieben hat, dass Photographen „Agenten des Todes“ sind, dann nicht nur deshalb, weil die Erfindung der Photographie eine neue, bis dato nicht existierende Bezüglichkeit zum Tod impliziert, sondern weil das Photographieren immer auch im Spannungsfeld von Vergänglichkeit und Ewigkeit situiert ist: Photographieren bedeutet, in visueller, bildlicher Hinsicht eine Archäologie des Temporalen als Augenblicklichkeit zu begründen.

Die photographischen Arbeiten von Brian McKee sind archäologische Spuren der Gewalt als etwas Ruinöses – und dies in buchstäblichem Sinn. Die Photographien zeigen als Geographie der Ortlosigkeit (wir können die konkreten Schauplätze dieser photographischen Sujets kaum entziffern) gewaltsam ruinierte Bauwerke, meist Innenansichten. Aus den photographischen Erfahrungen der US-amerikanischen „New Topography“ der siebziger Jahre heraus (Stephan Shore ist ein wichtiger Lehrer für McKee) geht es nicht mehr um den Impetus des „Dokumentarischen“; das referentielle Vermögen der Photographie will hier nicht eine Wahrheit suggerieren, sondern die Authentizität des Gewesenen.

Spuren von Verwüstungen, von desaströsen Geschehnissen und ruinösen Vorgängen sind das Augenfällige der Bilder. Wiewohl wir spätestens seit Susan Sontag wissen, daß jede photographische Aufnahme das Präsentierte ästhetisiert, verschönt, entsteht ein Gefühl des Beklemmenden, fast Unheimlichen bei der Bildbetrachtung. Ohne es exakt benennen zu können, entsteht unweigerlich der Eindruck, daß es sich hier nicht um natürliche architektonische Verfallszustände handelt. Der Eindruck (und die Redewendung), daß hier „Gewalt in der Luft liegt“, wird durch die präzise kompositionelle photographische Verfahrensweise ästhetisch verdichtet. Die Konzentriertheit und Intensität, die „aus“ den Photographien „herauskommt“, bewirkt den Eindruck einer nicht greifbaren, aber tödlichen Stille.

Mit der Serie „Detritus“ präsentiert sich Brian McKee für das österreichische und internationale Publikum nicht nur als ein subtiler und faszinierender Photograph, sondern auch als ein Künstler, der die Lektionen der Photographie in existentieller Weise gelernt hat. Nicht, weil er die phototechnisch-chemischen Möglichkeiten genau für seine Bildgewinnung auslotet, nicht, weil er das Zertifikatorische der Photographie begriffen hat, sondern weil er die Photographie als das verstanden hat, was sie als Bildmedium genuin ist: das erste Zeit-Bild in der Geschichte der Bilder. Es geht also um die Chronozentrik des Gezeigten, es geht darum, daß wir mit den photographischen Bilder nicht einfach Wahrheiten vermitteln und rezipieren können, sondern darum, daß sie uns Ereignetes, Geschehenes als Moment der Wahrheit in und durch die Zeit ermöglicht: „So wird die Photographie für mich zu einem bizarren Medium, zu einer neuen Form der Halluzination: falsch auf der Ebene der Wahrnehmung, wahr auf der Ebene der Zeit…“, formulierte es Roland Barthes.

Es verbleibt mir die schöne Aufgabe der Danksagung: dem Künstler Brian McKee für die wunderbare Zusammenarbeit, Stephan Schmidt-Wulffen, Ernst Hilger, Ines Gebetsroither, Maria Schindelegger, Leonie Hodkevitch, Sigrid Katzböck, Maria Jecel, Karl Schneller und vor allem auch Inge Nevole, ohne deren Engagement die neunte EIKON-Sonderpublikation nicht realisierbar gewesen wäre.