Elijas Lied

von

Elija ist die älteste der Schwestern, ihre Augen, von einer großen Lidfalte beschützt, blicken auf das Schöne in der Welt. Sie liebt das Theater, wenn sie die Hagar spielt, die in die Wüste geschickt wird, allein mit einem Kind im Bauch. Auf der Bühne kann Elija Mutter sein, in echt kann sie das nicht. Noa jobbt in einer Kantine. Jeden Tag hofft sie auf Akim, der hoch oben in dem Glasturm mit Elbblick arbeitet. Sie können über vieles sprechen, die Exmatrikulation, ihre Ostasienreisen, nur nicht darüber, wohin sie geht, wenn ihre Schicht in der Kantine vorbei ist. Loth, die Jüngste, ist schön wie eine Statue. Und sie ist wütend. Bei Demos wird sie als Nazi beschimpft, sie selbst hält die Linken für Meinungsfaschisten. Sie ist in die patriotische Hausgemeinschaft in Halle gezogen, um zu kämpfen. Die Wanderung war Loths Idee. Die Idee, noch einmal Schwestern zu sein. Das Moor zu durchqueren und auf dem Berg das Lied zu singen, das ihr Vater für sie gedichtet hat. Doch wie die Schwestern ist auch das Moor nicht mehr dasselbe. Einen Tag verbringen sie zusammen, allein mit sich und den Erinnerungen, die selbst das Moor nicht schlucken kann, mit all dem Morast und Torf, und es gibt nichts, was Halt verspricht.

Amanda Lasker-Berlin beherrscht die Kunst der Verdichtung, das Spurenlegen, das Erzeugen von stärker werdenden Schwingungen bis hin zum Paukenschlag. Ihre fließende, konzentrierte Sprache, ihr Vertrauen auf die Kraft ihrer Figuren sowie die Empathie und Unaufgeregtheit, mit der sie brisante gesellschaftliche Themen mit individuellen Schicksalen engführt, zeugen von dem großen Talent der Debütautorin.