Ernst Jünger und die Nichtvergeßlichkeit

Der Autor als Schrift

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Die am besten gehüteten Geheimnisse sind bekanntlich jene, die nicht geheim gehalten zu werden brauchen, weil sie sich von alleine verbergen. Ein solches Geheimnis ist Ernst Jüngers Lehre von der Gestalt. Je lauter ihr Botschafter von ihr sprach, desto tiefer verbarg sich ihr Sinn. Der vorliegende Essay sucht – und findet – den Schlüssel zu ihr in zwei sehr menschlichen Eigenschaften: dem Vergessen und der Lüge. Als Ernst Jünger auf die 100 zuging, behauptete er, einen Text vergessen zu haben, der zu den wichtigsten seines ganzen Werkes gehört: »Über die Linie«. Er konnte ihn aber gar nicht vergessen haben, denn Jünger war eine Gestalt, und Gestalten vergessen nichts. Sie sind die lebendigen Archive aller ihrer Hervorbringungen und haben sich schon in Schrift verwandelt, wenn ihre Mitmenschen noch glauben, sie hätten es mit Wesen aus Fleisch und Blut zu tun. Timo Köllings philosophischer Traktat, der jetzt in dritter, bearbeiteter Auflage vorliegt, entfaltet eine konzentrierte Theorie von Jüngers Gesamtwerk und wirft neues Licht auf die Wirkung Nietzsches, die Jünger-Lektüre Hans Blumenbergs sowie Jüngers gegnerische Verbundenheit mit Martin Heidegger und Carl Schmitt.