ERZÄHLUNGEN AUS RUSSLAND

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Wladimir Korolenko *1853 bis †1921
Von Helmut Hauck

Vorbemerkung
Bücher suchen sich ihre Leser selbst, heißt es. Fast möchte ich das glauben. Mich selbst begann Wladimir Korolenko bereits 1948 zunehmend in seinen Bann zu ziehen.

Ich bin 1930 in Waldenburg/Schlesien geboren. Nach den Wirren des Krieges begegnete ich W. G. Korolenko in Form eines kleinen Büchleins, ein Geschenk meiner Russischlehrerin für gute Leistungen zum Schuljahresabschluss. Es war die Biografie von A. Derman, erschienen 1947 im Verlag der Sowjetischen Militäradministration Berlin.

2008 fiel mir diese Ausgabe wieder in die Hände und von da an ließ mich diese Schriftstellerpersönlichkeit nicht mehr los. Sein Werk „Die Geschichte meines Zeitgenossen“ in der Übersetzung von Rosa Luxemburg und mit einer Einleitung von ihr versehen, bestätigte mein Interesse an W. G. Korolenko. In dieser Einleitung reiht sie ihn an vorderster Stelle unter den russischen Schriftstellern des 19. Jhd. wie z. B. Tolstoi, Gogol, Dostojewski ein. In vielem überragt er diese genannten. Seine schriftstellerischen Darstellungen der russischen Verhältnisse sind klar formuliert und stets von tiefem Humanismus geprägt.

Am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert war er unbestritten in Russland eine moralische Autorität.
„Ich bin weder Sozialrevolutionär noch Sozialdemokrat“, sagte er von sich selbst. „Ich bin einfach ein Schriftsteller, der für Recht und Freiheit für alle Bürger unseres Vaterlandes schwärmt und als Kämpfer überall dort auftritt, wo Recht und Freiheit verletzt werden.“

Diesem Grundsatz ist er ein Leben lang treu geblieben. Das zeigt sich auch in den eigentlich öffentlichen Briefen, die W. Korolenko in seinem letzten Lebensjahr an den Volkskommissar Lunatscharski* richtete, in denen er die Bolschewiki zur gewaltfreien Umgestaltung der Gesellschaft in einen freiwilligen Sozialismus aufrief. Diese Briefe, in Moskau erstmals 1988 veröffentlicht, begegneten mir in Deutsch 1990 in der Zeitschrift „Sowjetliteratur“ als Ergänzung meines bisherigen Bildes von W. Korolenko.

Zugunsten konkreter sozialer Tätigkeiten hat W. Korolenko auf viele literarische Vorhaben verzichtet. Er wird nicht ohne Grund als erster Menschenrechtler Russlands bezeichnet.

Zu Unrecht ist W. Korolenko als Schriftsteller, Humanist und Menschenrechtler in Vergessenheit geraten. Das vorliegende Buch soll dazu beitragen, uns diese Persönlichkeit in ihren verschiedenen Facetten wieder nahe zu bringen.

Dafür gebührt dem Herausgeber, Herrn Peter J. Jürgensen, großer Dank. Mit der hier vorliegenden Sammlung von Schriften von und über W. Korolenko wird die Möglichkeit eröffnet, dass Leben und Werk Korolenkos wieder neue Leser findet.

PS Als Wladimir Korolenko am 25.Dezember 1921 in Poltawa starb, nahmen die Bevölkerung und die Vertreter der Öffentlichkeit drei Tage lang von morgens bis nachts schweigend an seinem Sarg Abschied.
Heute ist sein Wohnhaus Museum in Poltawa und bewahrt sein Andenken.

*Antoli Wassiljewitsch,
natürlich habe ich mein Versprechen, ausführlich an Sie zu schreiben, nicht vergessen, zumal es meinem aufrichtigen Wunsch entsprang. Meine Ansichten über die wichtigsten Faktoren des gesellschaftlichen Lebens offen auszusprechen ist mir wie anderen aufrechten Schriftstellern schon lange ein zwingendes Bedürfnis. Die zur Zeit praktizierte „Freiheit des Wortes“ macht das unmöglich. Wir, die wir anders denken, sind gezwungen, statt der Aufsätze Memoranden zu schreiben. Doch ich hatte das Gefühl, mit Ihnen würde es mir leichter werden. Der Eindruck, den ich bei Ihrem Besuch gewann, bestärkte mich in meinem Vorhaben, und ich wartete nur auf die Minute, um mich hinzusetzen und mit einem Schriftstellerkollegen einen Gedankenaustausch über die schmerzlichsten Probleme der Gegenwart zu beginnen.

Doch der grauenhafte Vorfall, die Erschießungen während Ihres Hierseins, hat gewissermaßen eine Mauer zwischen uns aufgetürmt, so dass ich über nichts anderes sprechen kann, solange das nicht bereinigt ist. Deshalb muss ich, ob ich will oder nicht, mit diesem Vorfall beginnen.
(Aus: Hartmut Hauck, Späte Begegnung, 2013, Seite 43, Erster Brief)