Flucht nach Palästina

Lebenswege Nürnberger Juden

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In Nürnberg und Umgebung grassierte der Antisemitismus schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. In den zwanziger Jahren galt manchen Beobachtern Franken als eine Hochburg, wenn nicht sogar das Zentrum der Judenhetze im Deutschen Reich. Aus diesem Grund emigrierten viele Nürnberger Juden noch rechtzeitig und entkamen damit der Vernichtung durch das NS-Regime.

Bei den überwiegend patriotisch gesinnten Nürnberger Juden bildeten die Zionisten jedoch nur eine kleine Minderheit. Hinzu kam, dass die Bedingungen für einen Neuanfang im Palästina der zwanziger und dreißiger Jahre denkbar schlecht waren. Deshalb emigrierte nur weniger als ein Zehntel der jüdischen Bevölkerung aus Nürnberg in das spätere Israel. Die Länder USA, England oder Südamerika erschienen den meisten Juden attraktiver.

Von den ursprünglich rund 400 Nürnberger Jeckes (deutsche Juden in Israel) besuchte Peter Zinke – mehr als ein halbes Jahrhundert nach deren Flucht – etwa 40 und sprach mit ihnen über ihre Erinnerungen an die alte Heimat und den Neubeginn in Palästina. Dabei erfuhr er von – teilweise dramatischen – Lebenswegen, die oft aus gutbürgerlichen Verhältnissen in eine karge Existenz im Wüstensand führten. Doch häufig war der Idealismus und die Einsatzbereitschaft für den Aufbau eines jüdischen Staates bei den jungen Einwanderern beinahe grenzenlos.

Nicht wenige Nürnberger Jeckes träumten von der Zukunft in einer sozialistischen und freien Gesellschaft. Deshalb schlossen sie sich verschiedenen Kibbuzim an, in denen alles inklusive der Unterwäsche Gemeineigentum war. Einige kamen mit dieser Lebensform zurecht und leben heute noch in Kollektivsiedlungen, andere verließen die Gemeinschaften und versuchten ihr individuelles Glück. So kommt die erste aus Deutschland stammende Knessetabgeordnete aus Fürth, der langjährige Leiter der Jerusalemer Erziehungsbehörde und enge Kollege Teddy Kolleks besuchte die Nürnberger Bismarck-Schule, bedeutende israelische Malerinnen wuchsen in der Noris auf und einer der bekannten Fotografen Israels verbrachte seine Kindheit gleichfalls in Franken. Auch die erste Würstchenbude in Tel Aviv wurde von einem Nürnberger Juden betrieben. Andere versuchten sich als Hühnerzüchter oder bauten erfolgreiche Wirtschaftsbetriebe auf. Dennoch hatten manchen Emigranten in Palästina auch herbe Enttäuschungen zu verkraften: Statt sich ihren Lebenstraum vom gutsituierten Arzt oder Rechtsanwalt erfüllen zu können, mussten sie sich als Drucker oder Landwirt verdingen.

Probleme hatten die meisten Neueinwanderer zudem mit der ihnen fremden hebräischen Sprache, den unbekannten Speisen sowie den Vorurteilen der russischen und polnischen Juden, die schon länger im Land waren. Hinzu kamen gewaltsame Auseinandersetzungen mit der arabischen Bevölkerung sowie die vielen Kriege, die der Staat Israel mit seinen Nachbarn führen musste. So vielfältig die einzelnen Lebensgeschichten sind, so unterschiedlich ist auch das jetzige Verhältnis der Jeckes zu Nürnberg – und die politischen Ansichten der Befragten decken das gesamte Parteien-Spektrum in Israel von links bis rechts ab.

Neben den authentischen Erinnerungen, die mit zahlreichen historischen Fotografien illustriert sind, runden Hintergrundkapitel über Antisemitismus in Nürnberg, zionistische Aktivitäten in Franken sowie ein Abriss der Geschichte Palästinas/Israels den Band ab.