Franziskus von Assisi, vitae via

Beiträge zur Erforschung des Geschichtsbewusstseins in den deutschen Franziskusviten des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen Werke

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Geschichtsbewusstsein und Geschichtsbild sind im franziskanischen Selbstverständnis der minoritischen Frühzeit ganz entscheidend durch das in den letzten Erdentagen des umbrischen Stifters entstandene Testament geprägt. Mit dieser Schrift möchte der Poverello von Assisi – am Ende seines Lebens – die tiefsten Erfahrungen und Erlebnisse seiner Seele den Mitbrüdern als Erinnerung, Ermahnung und Aufmunterung in Form eines Vermächtnisses hinterlassen. Durch eine solche auf das Wesentlichste beschränkte „vita Francisci“ in Form einer „memoria“ sollte exemplarisch zum Heile aller Menschen ein Weg aufgezeigt werden, kompromisslos Jesu Leben und Wirken in der eigenen (mittelalterlichen) Historizität zu verwirklichen. Auf solche Weise entstand im italienischen Mutterland der Minderbrüder eine ganz spezifische Form der Historiographie, die sich dadurch auszeichnet – wie der bedeutende Franziskusforscher Giovanni Miccoli einmal formulierte, dass hier vielleicht erstmalig im Mittelalter über Geschichte reflektiert wurde, um die jeweils eigene Existenz im heilsgeschichtlichen Kontext zu bestimmen. Gegenstand der Arbeit ist nun die Frage, ob und wenn ja in welcher Form dieses spezifisch minoritische Geschichtsverständnis in den deutschen Franziskusviten und -legenden weiterlebte bzw. in welchem Ausmaß es geänderten kulturellen und literarischen Parametern Rechnung zu tragen hatte. Zur Untersuchung dieser Problematik bot sich folgender Dreierschritt an: Vorerst sollte die Rezeption franziskanischen Selbstverständnisses in Deutschland und dessen Niederschlag in den beiden ersten, noch vor 1250 entstandenen, Viten des Heiligen behandelt werden, darnach ging es um Aussehen und Stellenwert der Franziskusgeschichte innerhalb der großen Legendare der Zeit und schließlich richtete sich das Augenmerk auf das zweifellos wichtige Unterfangen des frühen 15. Jahrhunderts, die theologisch hochkomplizierte Legenda Maior Sancti Francisci des bedeutenden Kirchenlehrers Bonaventura für ein deutschsprachiges Publikum aufzubereiten. In allen drei Perspektiven erwies sich das spezifisch franziskanische Geschichtsbewusstsein als mehr oder weniger konstante Größe, und gerade das letzte Kapitel konnte die Aufnahmebereitschaft für das minoritische Denken nördlich der Alpen verdeutlichen.