Freiheit und Trieb

Essays zur Psychoanalyse

von

Freuds Psychoanalyse erscheint immer schon veraltet und ist zugleich hellsichtiger denn je. Das Kapital verwandelt die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse in unpersönliche, aber in der konkreten Situation, durch die hindurch der Wert allein sich verwertet oder eben, wie in der manifesten Krise, nicht verwertet, setzt es weiterhin oder aufs Neue und in verschiedensten Ausprägungen durchaus personale Heteronomie voraus. So ist die Vorstellung, patriarchalische, persönlich geprägte Abhängigkeitsverhältnisse existierten einfach nicht mehr, Ungleichheit sei durch gleichen Tausch abgeschafft, absurd. Ebenso absurd aber ist die Behauptung, das Patriarchat und dessen Familienstruktur existierten wie eh und je, in ihrem Wesen ungebrochen trotz aller real-abstrakten Formen von Herrschaft. Dabei liegen in den Brüchen, die durch diese Formen erzeugt werden, die Möglichkeiten ebenso individueller Emanzipation wie modernisierter Barbarei.

Die Essays beschäftigen sich auf dieser Grundlage mit dem Misstrauen gegenüber der Freudschen Psychoanalyse im Feminismus und in der Existenzphilosophie (Beauvoir, Sartre): mit Versuchen, ihre Triebtheorie in linguistisch aufgelösten Strukturen (Lacan) oder vom intrauterinen Zustand abgeleiteten Narzissmus (Chasseguet-Smirgel, Grunberger) zum Verschwinden zu bringen; mit der Verdrängung der Bisexualität und nicht zuletzt mit der Sharia als organisierter Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle.

Anders als Freud meist interpretiert wird, gehen die Essays von der Antinomie aus, dass es ohne Triebtheorie keinen Freiheitsbegriff und ohne Freiheitsbegriff keine Triebtheorie geben kann. Daraus ergibt sich auch ihr ‚Seitenthema‘: Literarische Versuche, die solchen Antinomien sich stellen wie die Romane von Vladimir Jabotinsky, Boualem Sansal und Robert Schindel sowie die radikale Abrechnung von Niklas Frank mit seinem Vater.