Friedrich Rittelmeyer. Sein Leben

Religiöse Erneuerung als Brückenschlag

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Zum 60. Todestag am 23. März 1998 erscheint die lange erwartete Lebensdarstellung Friedrich Rittelmeyers von der Hand eines renommierten Biographen und Kenners sowohl der Anthroposophie als auch der protestantischen Geisteswelt. Rittelmeyers Leben stand unter der Signatur beider Bereiche: der liberale Theologe und gefeierte evangelische Kanzelredner, der Tausende von Menschen in seinen Bann zog, begegnete 1911 Rudolf Steiner, prüfte dessen Aussagen immer wieder kritisch und unter strikter Wahrung seiner geistigen Selbständigkeit, trat schließlich aus voller Überzeugung auch öffentlich für Steiners Person und Lebenswerk ein – und galt dadurch zunehmend als Abtrünniger. Im Alter von fast 50 Jahren wagte er den Schritt ins Ungewisse: Er gab seine gesicherte Laufbahn innerhalb der evangelischen Kirche auf, um 1922 die entscheidende Figur bei der Begründung der Christengemeinschaft und 1925 auch deren Leiter (Erzoberlenker) zu werden. Parallel dazu war er an führender Stelle innerhalb der anthroposophischen Gesellschaft tätig. Rittelmeyer hat selbst in zwei äußerst lesenswerten Erinnerungsbänden (Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner, 1928, und Aus meinem Leben, 1937, beide im Verlag Urachhaus) viele biographische Einzelheiten festgehalten. Dennoch fehlte bisher eine zusammenfassende Würdigung aller Lebensbereiche, in denen Rittelmeyer tätig war, aus heutiger Sicht. So wird erstmals sein Wirken innerhalb des damaligen Vorstandes der deutschenanthroposophischen Gesellschaft beleuchtet, seine Bemühungen, die von ihm geleitete Bewegung während der NS-Zeit so lange wie möglich vor dem drohenden Verbot zu bewahren. Doch auch seine Tätigkeit innerhalb der evangelischen Kirche – zunächst in Würzburg und Nürnberg, dann in Berlin – und seine Beziehung zu bedeutenden Persönlichkeiten des deutschen Protestantismus (u.a. Johannes Müller, Christian Geyer, Wilhelm Stählin, Karl Barth) werden eingehend gewürdigt, wobei mancherlei Unbekanntes zu Tage gefördert wird. So ergibt sich das eindrucksvolle Lebensbild eines Geistes, der immer als Brückenbauer zwischen den Lagern gewirkt hat, zunächst innerhalb des Protestantismus, dann zwischen Protestantismus und Anthroposophie, schließlich auch zwischen dieser und einer aus ihr heraus befruchteten Neuen Kirche. Gerhard Wehr zeichnet souverän das Bild eines hochbefähigten, gütigen Menschen, der unablässig an sich arbeitete, lebenslang seiner Mission treu blieb und aus wahrhaft christlicher Gesinnung lebte und handelte.