Frühchinesisch

Kolumnen

von

Ist Peter Schneider ein so leidenschaftlicher Freudianer, dass er seine an der Bergstrasse in Zürich domizilierte Praxis unbedingt mit dieser Anschrift adeln wollte, um so dem grossen Sigmund Freud und dessen Praxis an der Wiener Berggasse die Reverenz zu erweisen?Wir wissen es nicht, offen gestanden ist diese Frage im Rahmen dieses Vorworts zu Schneiders drittem Kolumnenband auch vollkommen unerheblich. Die Bergstrasse scheint uns einfach eine treffende Metapher zu sein für seine Tätigkeit als – je nach Blickwinkel – wöchentlich auftretender Alltagsphilosoph, Briefkastenonkel oder Lebensberater. Bergen von Fragen hat sich dieser Mann in den vergangenen Jahren gestellt. Woche für Woche beantwortet er grosse, um nicht zu sagen letzte Fragen, zuweilen aber auch ganz konkrete aus der störungsanfälligen Zone zwischenmenschlicher Beziehungen. Er hat es mit Ängsten und Phobien von Stadtneurotikern zu tun und fungiert als augenzwinkernder Knigge auf dem weiten und zunehmend morastig gewordenen Feld der Benimmfragen. Kurzum: Peter Schneider baut mit seinen Antworten Strassen, die vielleicht bei den geneigten Leserinnen und Lesern einen lustvollen Denkprozess inGang setzen und an dessen Ende etwas eintreten kann, das wir im besten Fall als Selbsterkenntnis bezeichnen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie er es schafft, auf knappem Raum zu komplexen Fragen – über die Heerscharen von Fachleuten bereits Bibliotheken gefüllt haben – ein Konzentrat voller geistreicher Anregungen und scharfsinniger Beobachtungen zu präsentieren. Seit gut einem Jahr erscheint die ‹Tages-Anzeiger›-Kolumne von Peter Schneider auch im Berner ‹Bund›. Rasch zeichnete sich aus Rückmeldungen und eingesandten Fragen ab, dass viele nach einem solchen Angebot geradezu gelechzt hatten. Warum lesen wir ihn so gern? Schneider nimmt die Fragen ernst und gleichzeitig inszeniert er sich nicht als Autorität; er ist Aufklärer im besten Sinn; als echter Bildungsbürger zitiert er lustvoll und treffsicher aus der Weltliteratur, und er setzt das Fachvokabular der Psychologen sehr dosiert ein. Seine Antworten verraten eine angenehme Gelassenheit, denn er missbraucht die Fragen nicht als Sprungbrett für eitle Selbstbespiegelungen.Patentrezepte und Ferndiagnosen sind von ihm nicht zu haben, vielmehr schält er aus dem Privaten das für die Öffentlichkeit Bedeutsame heraus. Wenn es nicht so langweilig klingen würde, möchten wir fast meinen, Peter Schneider sei die ideale Verkörperung eines Ratgebers, wie es sich der aufgeschlossene Zeitgenosse wünscht, dem der Sinn nach einer angemessenen Mischung aus Unterhaltung und Belehrung steht.Aus dem Vorwort von Alexander Sury, Redaktor ‹Der Bund›