Gesammelte Prosa

Band 5: 1996-2001

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Leidenschaft, Sehnsucht, Rücksichtslosigkeit, Begehren, Verzweiflung, Unbedingtheit, Selbstentblößung und -verhüllung, das »Außersichsein« – dieser durchgehaltene, unter Hochspannung stehende Impetus ist in »brütt« immer doppelt lesbar: auf die Liebe und auf den Text bezogen. In einem Brief an Joseph heißt es, die psychophysische Totale (des Schreibens und Liebens) bezeichnend: »[…] denn wir schreiben ja mit der Haut, mit den Haaren, mit den Augen, den Zähnen, dem Geruchs- und dem Geschmacksinn, gleicherweise mit der Pupille, der Muschel des Ohres, der Beweglichkeit des Blutes, dem Wasser Sog usw.« In keinem ihrer Werke bisher ist Friederike Mayröcker so weit über Grenzen hinausgegangen (der Sprache, des Körpers, ja des ›Anstands‹), in keinem hat sie wie in »brütt« alles auf eine Karte gesetzt […]. Die Rücksichtslosigkeit dieses Schreibens / Liebens führt zu Sätzen wie »[…] ich denke, man kann gar nicht realistisch = radikal genug vorgehen oder man kann gar nicht realistisch = verrückt genug schreiben, was auch bedeutet, man kann gar nicht genug vernarrt sein in diesen oder jenen, in dieses oder jenes, Person oder Sache egal.« Das liest sich wie die ›Behauptung‹ einer Absicht in der Mitte des Buches, die zu Beginn wie ein Wunsch, eine Hoffnung formuliert worden war: »[…] vielleicht kann ich […] noch 1 paar glühende Verwüstungen, oder was, ins Endgültige, in die endgültige, ich meine in eine gültige Form bringen, usw.« (Klaus Reichert)