Hamit

Tagebuch 1990

von

Es ist leichter fortzugehen als zurückzukehren.
Hamit nennt Walter Kempowski den dritten Band seiner persönlichen Tagebücher. Nach „Sirius“ und „Alkor“, den Sternenbildern, ist das Jahr 1990 der Zeitpunkt, an dem er sich aufmacht zu jenem fernsten Stern seines Lebens, in die Heimat.
Hamit – Heimat: dieses altmodische Wort beherrscht das Leben Walter Kempowskis im Jahr eins nach dem Mauerfall. 1990 kehrt er in seine Geburtsstadt Rostock zurück – es ist eine langsame, manchmal quälende, manchmal tief bewegende Annäherung in vielen Schritten. Zuerst zusammen mit dem Bruder, der einen Panzer aus Kälte braucht, um den Anblick des elterlichen Hauses zu ertragen. Es ist der Ort, wo sie vom Tod des Vaters erfuhren, es ist der Ort, wo Walter nach dem Krieg verhaftet wurde und für acht Jahre nach Bautzen verschwand. Mit der persönlichen Annäherung verfolgt Kempowski gleichzeitig die Annäherung der beiden deutschen Staaten – hin und her gerissen zwischen Angst und Aufbruchstimmung. 1990 ist aber auch das Jahr der Fertigstellung seines ersten Tagebuches „Sirius“, ist intensive Auseinandersetzung mit dem kollektiven Tagebuch „Das Echolot“, begleitet von entmutigenden Zweifeln, ob dieses große Gedächtnis der kleinen Leute bewältigt werden kann.
Auch in „Hamit“ gelingt Kempowski diese eindrückliche Mischung aus Alltag und Politik, aus Schreiben und Erinnern, aus Träumen und genauer Beobachtung. In der Konfrontation mit Rostock arbeitet er Herkunft und traumatische Erfahrungen ab. Er betrachtet das, was Heimat sein könnte, von allen Seiten. Am Ende bleibt ihm von der Heimat nicht mehr und nicht weniger als Heimweh.