Idole des deutschen Films

Es ist eine alte Erfahrung – und nicht nur Siegfried Kracauers Beobachtung in seinem Buch „Von Caligari zu Hitler“ (1947) -, dass sich im Film als Massenmedium Idole erkennen lassen: Sehnsuchts- und Angstbilder, Leitfiguren und Schreckfiguren – Projektionen der Befindlichkeit in der zeitgenössischen Gesellschaft. Filmphantasien sind nicht nur Ideen eines bestimmten Drehbuchautors, Regisseurs oder Schauspielers – sie korrespondieren mit Anschauungsformen und Lebenspraxis in der Umwelt des Publikums. Die in dem Band versammelten Studien konzentrieren sich auf Rollenstereotype in der deutschen Filmgeschichte: Rollenstereotype, die etwas über die Mentalitäten der Kinogesellschaften zwischen 1914 und 1994, zwischen dem Kaiserreich und der Bundesrepublik heute verraten. Unter dieses Repertoire fallen Abenteuerer, Autoritätspersonen und Außenseiter, Helden und kleine Leute, dazu gehören Frauen- und Männerfiguren, Schauspieler mit wiederkehrenden fiktiven Personnagen: Wilhelm II. als erster deutscher Filmstar ebenso wie Dr. Mabuse und seine filmischen Wiedergänger; Zarah Leander und Sissi, die junge Kaiserin; Hans Albers und Winnetou; Heinz Rühmann und Hans Moser als „kleine Männer“; Lilian Harvey und Willy Fritsch als das Liebespaar der Ufa-Ära wie die Liebenden bei Fassbinder; nicht zuletzt die Kinder in Filmen von Wim Wenders. Am Beispiel dieser und weiterer Idole gehen die Beiträge der Frage nach, welche Empfindungsweisen und Vorstellungen, welche Denkarten und Werturteile, Handlungsstile und insbesondere welche ästhetischen Gestaltungsprinzipien Aufschluss geben über die äußere und innere „Verfassung“, über Konditionen und Träume sozialer und psychischer Formationen. Zugleich werden diese Idole auch daraufhin untersucht, ob sich in ihrer Besonderheit „nationale Charaktere“ enthüllen. Es geht um die Rekonstruktion von Suchbildern verschiedener Generationen und um die Frage nach Merkmalen historischer Epochen. Dabei zwingt die Verflechtung der Filmindustrien europäischer Länder und Amerikas zur sorgfältigen Überprüfung des „Typischen“ im deutschen Film.