In die Wolken geschrieben

Aphorismen – Fabeln – Parabeln

von ,

Ein Buch voller Sterne

„Nichts mehr als die Überlegung eines Malers: ob das, was er tut, etwas wert ist. Ich begehre keinen Lorbeer, eher innere Sicherheit“ schrieb einmal Josef Čapek über seine Tätigkeit als Maler und Graphiker, er bezog aber seine aphoristische Aussage auch auf seine literarische Produktion. Sie kann sich sehr wohl sehen lassen, obwohl sie immer an dem überragenden Werk seines drei Jahre jüngeren Bruders Karel gemessen wurde, der in lediglich 48 Lebensjahren den Stoff für über fünfzig Buchpublikationen verfasste, davon einen Teil mit Josef, dem 1887 Geborenen. Ein Begriff überlebt die Gebrüder ‚in alle Ewigkeit’: Roboter – eine Wortschöpfung Josefs, die Karel literarisch in seinem 1921 in Aachen uraufgeführten Drama ‚R.U.R.’ – Rossums Universal Roboter – verarbeitete und die seit jener Zeit Bände füllt und Fließbänder leert…
Josef Čapek besaß die Gabe, Ereignisse geradezu prophetisch vorauszusehen: vieles in seinem literarischen und graphischen Werk trägt visionäre Züge. Jedoch: der Prophet gilt nichts im eigenen Vaterland. Und eben für sein Vaterland musste er kurz vor Kriegsende in einem deutschen Konzentrationslager sein Leben lassen. Der überzeugte Patriot, durchaus europäischer oder kosmopolitischer Gesinnung, stets auf Ausgleich, Frieden, Verständigung bedacht, wurde Opfer von faschistischer Gewalt, von Kräften, denen der Pazifist und Humanist wider den Strich schrieb und zeichnete. Čapeks politische Graphiken und Karikaturen waren Aufrufe gegen die drohende Gefahr eines Krieges. Er zeigte Mitte der dreißiger Jahre den Irrweg auf, der ins Verderben führt. Seine Mahnungen blieben ungehört, später gingen sie im Lärm der Aufmärsche und Stiefelabsätze unter. Čapeks Gelegenheitsarbeiten, die zwischen den Weltkriegen in Deutschland bei Herwarth Walden und einigen anderen Verlagen erschienen, vermochten seinen Ruhm nicht zu steigern. Sein Werk wurde sogar in seiner tschechischen Heimat lange totgeschwiegen. Der Antifaschist Josef Čapek wurde gewürdigt; der Literat Josef Čapek bedarf immer noch der Entdeckung, wozu dies ‚Buch voller Sterne’ beitragen mag. Diese Publizierung seiner Aphorismen und Tagebuchnotizen ‚In die Wolken geschrieben’ stellt im deutschsprachigen Raum ein absolutes Novum dar.
Josef Čapek: „Der größte Kredit wird in dieser Welt dem erfolgreichen Durchschnitt gewährt. Erfolg wird des öfteren für Genialität gehalten. Was wird daraus Wohltuendes und Stärkendes geschöpft, wenn in einem Buch oder auf der Bühne der Durchschnitt triumphiert. Wehe allem Besseren, sowohl in der Politik als auch in der Kultur, wenn profitsüchtiger Durchschnitt triumphiert!“ Skeptisch lotet unser Autor aus: „Ob ich irgendwann in der heimischen Kultur Heimrecht bekomme?“

Wie anders verlief die Laufbahn seines 1890 geborenen Bruders Karel, der 1935 sogar als Literatur-Nobelpreisträger gehandelt wurde! ‚Gebet für die Wahrheit’ nannte Karel Čapek im Spätherbst 1938 einen dramatischen Aufruf an seine Landsleute am Ende jenes Jahres, das für die Tschechei ein Jahr der Schmach und des Verrats war. Das ‚Münchner Abkommen’ hatte ein halbes Jahr zuvor das Schicksal des Zehn-Millionen-Volkes besiegelt. Der Tscheche sah sehr früh die Gefahr einer großen Katastrophe aufziehen.
„Wie wird ein Zusammenleben zwichen Menschen und Völkern möglich sein, wenn zwischen ihnen so viel Verachtung, so viele Beleidigungen und Wutentladungen ausgetauscht werden? Niemand, kein Volk, kein Staat, kann sich sicher fühlen, solange zwischenmenschliche Beziehungen jederzeit durch die Instrumente der Lüge korrumpiert werden können. Die Welt von der Lüge befreien ist mehr als die Abrüstung. Die Wahrheit siegt – weil nur ohne die Lüge sich die Menschen und Völker verständigen können, mögen sie in jeder beliebigen Sprache reden.“ Das Gebet endet mit dem Wunsch: „Oh Herr, gib der Welt die Wahrheit zurück!“
Visionär waren mehrere Werke Čapeks, utopisch und phantastisch nannte man sie. Dabei schrieb er nur über die Tendenzen der Zeit: er sah die technisierte, anonyme Welt der seelenlosen Automaten, der Roboter, aufkommen. Die Wortschöpfung stammte von Josef Čapek, in die Historie führte sie Karel 1921 ein. Das Drama ‚R.U.R.’, ein ‚Kollektivstück’, anfangs noch als Satire deklariert, begründete Karels Weltruhm.
Karel Čapek war ein genialer literarischer Alleskönner: er war Lyriker, Dramatiker, Satiriker, Reiseschriftsteller, Novellist, Aphoristiker, Feuilletonist, Journalist, Essayist, Autor von Kinderbüchern, Übersetzer französischer Lyrik. Er schrieb Romane und Fabeln, Theaterstücke, Kriminalgeschichten und Tierbücher, er verfasste beliebte Reisebücher, legendär waren seine klassischen subtilen Feuilletons und einfühlsame Epiloge. Er war auch Autor der utopischen Story ‚Die Sache Makropoulos’. Der mährische Komponist Leoš Janáček wählte sie 1925 als Librettovorlage für seine gleichnamige Oper, die seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum Standardrepertoire zahlreicher zeitgenössischer Musikbühnen in aller Welt zählt.
Persönliche Begegnungen mit den Größen der Weltliteratur gehörten zu seinem Amt als tschechoslowakischer PEN-Präsident. Auf dem 8. Internationalen Slawistenkongress 1978 in Zagreb wurde Čapeks Roman ‚Krieg mit den Molchen’ zu einem der wichtigsten Werke gegen den Hitler-Faschismus erklärt. 1937 schrieb Thomas Mann an den Prager: „Ich las Ihren Roman. Schon lange hat mich keine Erzählung so ergriffen und gefesselt. Ihre Satire über den abgrundtiefen Irrsinn Europas hat etwas absolut Großartiges.”
Man kann behaupten, dass Karel mit dem Republikgründer Tomáš Garrigue Masaryk befreundet war; er war einer dessen Ratgeber und diskreter Biograph. ‚Gespräche mit T.G.M.’ heißt eines der Bücher, eine Anzahl davon in deutscher Übersetzung. Čapeks Doktorarbeit – nach Studien in Berlin, Heidelberg und Paris – widmete sich dem Pragmatismus. Seine praktische Philosophie gipfelte in der zentralen Frage: „Wie leben?“ sowie dem Versuch, „die Welt von der Lüge befreien“.
Hans-Horst Skupy