Inneres Land

Roman

von ,

Wie in ihrem ersten Roman, aber diesmal aus der Sicht einer jüngeren, selbstbewussten Generation, hat sich Maria Barbal erneut dem großen Thema auseinander brechender Traditionen, dem Verlust familiärer Nähe und Liebe zugewandt. Rita – sie könnte die Enkelin von Conxa, der Hauptfigur in ‚Wie ein Stein im Geröll‘, sein – muss von jüngster Kindheit an mit der Verschlossenheit, dem abweisenden Schweigen und der Unfähigkeit ihrer Mutter leben, Freude oder gar Liebe zu empfinden. In immer neuen Anläufen, in Gesprächen, Fragen und Erinnerungen versucht die Tochter dem Geheimnis dieses beklemmenden Verhaltens auf die Spur zu kommen und entdeckt dabei das ‚innere Land‘ ihrer Mutter, das geprägt ist von Verlassenheit, Einsamkeit und Trauer um den Vater, der im Bürgerkrieg abgeholt wurde und nie wiederkam, von Verzweiflung über die Familie, die durch den Krieg ihre Heimat und ihre selbstverständliche Sicherheit verlor. In einer sensiblen, variantenreichen Sprache lässt Maria Barbal eine intensive Suche nach verborgenem Schmerz und verborgener Liebe sichtbar werden, eine Suche, die schließlich eine Brücke möglich macht nicht nur zwischen Mutter und Tochter, sondern auch zwischen zwei Generationen mit extrem unterschiedlichen Lebens- und Grenzerfahrungen.

Nach dem überwältigenden Erfolg von ‚Wie ein Stein im Geröll‘ der neue, große Roman von Maria Barbal, ‚ein Beweis höchster erzählerischer Kunst‘ (so der bedeutende spanische Kritiker Joan Josep Isern).

Eines Nachmittags, ich will später noch ausgehen, sind wir beide allein in der Wohnung. Du bügelst, und ich erzähle dir von den Mädchen aus meiner Klasse. Einige sind immer richtig schick angezogen, äußerst zuvorkommend und echte Freundinnen. Du sagst mir, du fändest es schön, dass ich mit solchen Menschen verkehre, aber ich solle ja keinem trauen. Ich frage dich warum nicht, du wirst laut und mit erhobenem Bügeleisen entgegnest du mir, ob ich denn immer noch nicht begriffen hätte, dass es Leute gebe, die nur darauf aus sind, uns zu schaden. Doch bevor ich auf deinen abrupten Stimmungswechsel reagieren kann, bist du schon wieder bei einem anderen Thema. – Als ich in deinem Alter war, hatte ich die ganze Arbeit schon so was von satt. Wie ein Mann hab’ ich geschuftet! – einen Augenblick lang klingt deine Stimme ganz heiser. Bei mir haben sie mit der Milch geknausert, weil man die ja für die Aufzucht der Kälbchen brauchte – sagst du und brichst in Tränen aus. Während du dich langsam wieder beruhigst, bin ich noch völlig baff, du würdest eher sagen, es hat mich ‚aus den Pantinen gehauen‘. – Nur weil du jetzt in Barcelona aufs Gymnasium gehst, glaubst du wohl, dass du schon trocken hinter den Ohren bist, oder was? Ich muss daran denken, wie ich als kleines Kind einmal am Waschbecken gestanden bin, über dem ein Spiegel hing, und wie deine großen Hände meine eingeseift haben, die dunklen Rinnsale sind in den Abfluss gelaufen, und das Handtuch, mit dem du mir die Hände abgetrocknet hast, lag ausgebreitet über deinen Armen. ‚Warte nur, bis du erst deine Ohren im Spiegel sehen kannst!‘ Noch immer stehe ich vor dir, bringe kein Wort heraus, und ich weiß, gleich wird das mit dem Unwetter kommen, das dich im Freien überrascht hat, ohne Unterstand und ohne Regenschirm, und das Wasser ist dir ‚bis in die Arschrinne‘ gelaufen. Ich sage dir schnell, ich hätte versprochen, bei meiner alten Schule vorbeizuschauen. Du wirfst mir einen Blick zu und wendest das Bügeleisen mit einem so energischen Schwung, dass das Bettlaken eine tiefe Falte abbekommt. Und all das, bloß weil ich dir eine Freude machen wollte und dir von Glòria erzählt habe. Im Flur, kurz bevor ich die Wohnungstür ins Schloss fallen lasse, kriege ich noch mit, wie du sagst: – Freundinnen! Wenn ich das schon höre, jeder für sich und Gott für uns alle, so läuft das auf dieser Welt!