„Kein Schrei weckt dies konservativ blökende Schlafvolk“

Aphorismen aus den Tagebüchern

von

Zwischen allen erreichbaren Stühlen sitzen, das tat Albert Ehrenstein sein ganzes Leben lang. Darin bestand seine Stärke als unbestechlicher Kritiker, der sich kein Blatt vor den Mund nahm, wo immer er Prätensionen, Unwahrheit und Unrecht witterte,in Politik, Staat und Gesellschaft, in Literatur, Kunst und Religion. Darin bestand aber auch das Verhängnis seines Lebens, das ihm das Schicksal des Außenseiters und den Tod im Exil beschied. Er stand immer über allen Parteien und kannte keine Loyalitäten. Er nahm nur die Partei der Schwachen, Ausgebeuteten, Unterdrückten und ungerecht Behandelten und kannte nur eine Loyalität, die zur Wahrheit und Menschlichkeit.

Die vorliegende Auswahl von schlagkräftigen oft aphoristisch zugespitzten Gedanken, Werturteilen und Lebenserkenntnissen aus Ehrensteins Notizbüchern läßt ein lebensgeschichtliches Bild des streitbaren Dichters entstehen: als Schüler und Student, der das geistabtötende Erziehungs- und Bildungssystem der Schule und Universität kritisierte; als junger Dichter, der respektlose Opposition bezog gegen die herrschenden Literaturgötter und Literaturmoden seiner Zeit und den sie begleitenden Literaturbetrieb; als liberaler Denker, der klischeehaftes Denken und verfestigte Vorstellungsweisen aufs Korn nahm. Schließlich entsteht hier auch das Bild des im ersten Weltkrieg politisch herangereiften Dichters, der sich allen Ideologien verweigerte und den ‚Mißbrauch der Macht‘, in wessen Namen er auch betrieben wurde, schonungslos beim Namen nannte und der selbst in den Weltreligionen nichts als eine Machtfrage sah und damit ein Hindernis für die Liebe des Menschen zum Menschen. Am Ende steht der einsame Emigrant vor einer Welt, die von der unbelehrbaren Dummheit der Menschen und ihrem unstillbaren Machtdurst in Scherben gelegt wurde. Wenn diese Welt Ehrenstein am Ende besiegt zu haben scheint, so bleibt letztlich doch das Bild eines engagierten Dichters bestehen aus dessen illusionszertrümmernden Worten immer die Utopie eines menschenwürdigen Lebens und einer menschenfreundlichen Welt entsteigt.

‚Wenn er traf, dann traf er gut‘, schrieb Berthold Viertel über Ehrenstein, und das beweisen die vorliegenden, zur Auseinandersetzung herausfordernden Aussprüche Ehrensteins. Sie sind alle respektlos, oft jede Sensibilität und jeden guten Geschmack verletztend. Für Ehrenstein gab es keine heiligen Gefühle und noch weniger heilige Kühe. Da, wo Verehrung herrscht, gibt es bei ihm Spott, da, wo Blindheit herrscht, scheut er sich nicht zu sehen und zu zeigen. Dichter und Politiker, Monarchisten, Sozialisten und Faschisten, Juden und Christen, Araber und Zion, Kapitalismus und Kommunismus, Diktaturen und Demokratien, Arme und Reiche, sie alle werden unterschiedslos mit unbestechlichem Blick aufs Korn genommen und – ‚wenn er traf, dann traf er gut.‘

Der Titel wurde vom Klaus Boer Verlag übernommen.