Kinder von tätowierten Müttern schreien besonders laut

Lyrik der Gegenwart Band 83

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Lyrik ist für Helmuth Schönauer die offenste und gegenwärtigste Form von Literatur. Das Angebot des Autors muss von der Leserschaft in der aktuellen Gegenwart realisiert werden, so dass beide etwas über den Zustand der Welt, die eigene Lage und das aktuelle Design der Literatur erfahren.
In den Lyrikprojekten Helmuth Schönauers wird ein aktuelles Diskussionssegment dekonstruiert, indem es von lyrischen Verfahrensweisen in die Enge getrieben und schließlich aufgelöst wird.
Der Leserschaft kommt jeweils die entscheidende Rolle zu, da sie er den Grad der Dekonstruktion bestimmt. Nur was sich das Publikum zutraut, wird in der Vorstellung realisierbar.
In Schönauers Lyrikprojekten geht es um einen vergesslichen Reiter, der sein Pferd der Erinnerung zu Tode geritten hat, um ein HTLM-Verfahren, das den Bildschirm verlässt und in die Konsistenz einer Lyrikseite wechselt, um eine Cloud, die sich vom Netz abkoppelt und Richtung Weltraum driftet.
Im Lyrikprojekt „Kinder von tätowierten Müttern schreien besonders laut.“ erscheint die Lyrik als gepresste, verdichtete Zeit, die als Depot für Erinnerung und als Vorrat für die Winterzukunft genützt werden kann. Eine lyrische Endlosschleife ist wie eine Festplatte in Sektoren fragmentiert und kann gezielt angehalten und abgerufen werden. Die Leserschaft dockt an einer beliebigen Stelle an und wird konfrontiert mit Partikeln, die zum Aufbau von Zeitgeschichte, zur Dekonstruktion von Behauptungen oder zur Abwehr falscher Bilder verwendet werden können.
Wann immer die Leserschaft eines der 275 Element aufruft, wird immer auch Kontext aufgerufen, denn immer bleibt etwas von vorderen oder hinteren Texteilen hängen, sodass sich das Thema von Fließen, Fixieren, Verorten oder Scannen von Erinnerung von selbst ergibt.