Kurzschlüsse

Wien

von

Die „Kurzschlüsse“ sind, das zeigt sich, wenn man nach Zusammenhängen ihrer Motive sucht, eng mit Ilse Aichingers Biografie verknüpft. Gleichzeitig ist ihre Person in den Texten aber ganz zurückgenommen, was wiederum gleichzusetzen ist mit dem Gegenteil: „Indem ich mich ganz hineinbegebe in Ort und Stunde, werde ich herausgehoben, werde ich als Kreuzungspunkt ich selbst.“ (Aufzeichnungen 1950-1985) Auf besondere Art evident wird das, wenn Ilse Aichinger die „Kurzschlüsse“ selbst liest, die eine fast ebenso große Affinität zum gesprochenen Wort aufweisen wie die zur gleichen Zeit entstandenen Dialoge und Hörspiele.
In der Aufnahme vom Juli 2001 liest Ilse Aichinger ihre Prosagedichte fast fünfzig Jahre nach deren Entstehen. Das Hier und Jetzt der Lesung bildet einen neuen Kreuzungspunkt. Dieser nimmt, durch die Zeit hindurchgreifend („durch sie hindurch, nicht über sie hinweg“, wie Paul Celan sagte), die Momente des Schreibens, des Erinnerns und des Erlebens in sich auf und vergegenwärtigt sie. Gleichzeitig werden die Texte im Wiederlesen auch neu interpretiert. Den Verheißungen des Augenblicks und den Worten, die diese beschwören, begegnet die 80-jährige Autorin mit noch größerer Skepsis. Denn nur in dieser, weiß sie, findet Hoffnung allenfalls noch eine Zuflucht.