Lamento

Roman

von

Die Geschichte beginnt in Genua: Kaum besteigt die Erzählerin das Schiff, gerät die Zeit aus dem Takt und wird zum umfassenden Raum. Die Reise führt nach Sardinien, ihrer Wahlheimat, wo sie sich in einer archaischen Welt bewegt, in der ihr unbekannte Gesetze gelten. Mittelpunkt und Magnet ist für sie Antonella, Mutter von sechs Kindern, eine königliche Frau, graziös und hässlich, kraftvoll, unabhängig – und der Inbegriff von Leben. Antonella hat die Erzählerin bereitwillig in ihre grosse Familie aufgenommen, ihr einen Platz und eine Rolle darin zugewiesen. Das ländliche Sardinien wird für die Städterin zur faszinierenden und befruchtenden Gegenwelt.
Jäh erhält dieses Paradies Risse durch den Tod Antonellas – und hier setzt das eigentliche Lamento, die Totenklage, ein. Hat die Verstorbene vorher dem Ganzen Sinn verliehen, wird nun das frühere Glück fragwürdig und zerbröckelt. Tod, Erinnerung und die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit bestimmen plötzlich den Takt, Schattenseiten der Wahlfamilie treten hervor, die eigene Rolle erscheint in einem neuen, nicht nur positiven Licht. Und auch die Liebesbeziehung der Erzählerin scheitert. Diese muss auf einem langen Weg durch ihre Trauer hindurch – schreibend – zu einer neuen Mitte und zum neuen eigenen Ort finden.
Wer Esther Spinners Werk kennt, ist ›Nella‹ schon einmal begegnet, als die Autorin in der Art einer Reportage über sardische Frauen berichtete. Auch in Lamento zeigt sie sich als profunde Kennerin Sardiniens und zeichnet ein eigenwilliges, packendes Gesicht des dortigen Lebens. Darüber hinaus erzählt sie die Geschichte einer besonderen Liebe und Freundschaft: Sie setzt mit Antonella einer ungewöhnlichen und starken Frauengestalt ein Denkmal und lässt uns teilhaben an der Leere, die ihr Tod hinterlässt. Nicht zuletzt ist Lamento daher ein Buch über eine der Grundfragen menschlicher Existenz: des Stellenwerts des Todes in unserem Leben.