L’ange nu

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In L’ange nu – Der nackte Engel – veröffentlicht der französische Schriftsteller Gérard Haller zwei Beiträge, die Dichtung sind und Dichtung reflektieren. Das namengebende L’ange nu ist ein Prosagedicht, das Haller dem Gemälde La petite fille au ballon (1908) von František Kupka widmet. Feinsinnig entwickelt er darin eine Interpretation des Gemäldes. Haller setzt sich ihm aus, die Betrachtung geradezu in eine Teilnahme verkehrend. Es ist die zentrale, dargestellte Geste einer ausgestreckten Hand mit einem Ball, die den Schriftsteller gefangen nimmt: ‚als böte sie ihn an – allen, jedem der will – und lüde auch uns ein, an das Spiel anzuknüpfen und es wieder in Gang zu bringen. Atemzüge, Sinn, Formen, unendliche Verwandlung der Formen. Kunst und Leben. Die ganze Kunst: jedes Mal auf andere Weise die alte Geste wiederholen, die Herz und Herz verbindet, und so eine gemeinsame Welt öffnen.‘ Passer la nuit – Die Nacht verbringen – ist Hallers ureigener Versuch einer Poetik. Trotz des Verlustes von Begriffen wie ‚Gott‘, ‚Mensch‘, ‚Volk‘ und ‚Revolution‘ erkennt der Autor in diesen leeren, nackten Wörtern, in der Hilflosigkeit, eine Chance. Impulsgeber sind ihm Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche, Stéphane Mallarmé, Georges Bataille, Maurice Blanchot, Paul Celan und Jean-Luc Nancy. Dichtung will, so Haller, Gemeinsames und Kostbares wiederholen, es bezeugen und weitergeben wie einen Talisman. Schreiben schafft Gemeinsamkeit, indem es Gespräche fortsetzt, auf Rufe antwortet. Hier ist sie wieder: die ausgestreckte Hand.Die dreisprachige Publikation (französisch, deutsch, englisch) entstand 2012 während des Aufenthaltes von Gérard Haller an der Akademie Schloss Solitude.