Logopädie zwischen Moderne und Spätmoderne

Sprache - Stimme - Glück

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Sprachtherapien kommen in den letzten Jahren immer häufiger zum Einsatz. Die Krankenkassen weisen einen dramatischen Kostenzuwachs auf diesem Feld aus. Allein vier von zehn Kindern im Einschulungsalter leiden nach aktuellen Studien unter behandlungsbedürftigen Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen. Ärzte, Therapeuten, Krankenkassen und die Patienten selbst halten eine logopädische Sprachtherapie überraschend selbstverständlich für das alleinige (Heil)Mittel der Wahl. Die Logopädie erscheint gleichsam als Erfolgsgarant zur Wiederbelebung gelingender Kommunikation. Ihr Selbstverständnis und ihre Selbstdarstellung sind geradezu von dem Versprechen beseelt, logopädische Eingriffe würden Patienten ein besseres Leben bescheren. Kathrin Schulz zweifelt an den Erfolgsaussichten dieser routinierten Kompetenzzumutung. Aufbauend auf aktuelle zeitdiagnostisch-sozialphilosophische Theorien von Michel Foucault, Zygmunt Bauman und Gerhard Gamm konstatiert sie: Die Theorien, Diagnostiken, Methoden und Therapieansätze der Logopädie folgen einem zutiefst modernistisch-naturwissenschaftlichem Fahrplan. Diese entsprechen nun weder den Bedürfnissen und Wünschen des individuellen Menschen der Spätmoderne, noch ermöglichen sie überhaupt einen angemessenen Zugang zu Sprache, Sprechen und Stimme. Die Logopädie versäumt die Chance, sich als produktive und zukunftsoffene Sprachtherapie auf dem Markt der sprachtherapeutischen Anbieter zu positionieren. Sie verfehlt tragischerweise damit letztlich ihren hochsensiblen „Arbeitsgegenstand“ – die Sprache, das Sprechen und die Stimme jedes einzelnen Patienten. Die Folgen sind verheerend: Der Mangel an (selbst)kritischer Reflexion innerhalb der „Institution Logopädie“ beschleunigt die Erstarrungstendenzen der logopädischen Sprachtherapie. Es bleibt innerhalb der Logopädie damit weitgehend unbeachtet, welche Konsequenzen ein Handeln allein nach den Maßgaben praxeologisch-medizinischer und naturwissenschaftlicher Ideale haben muss.