LP

Roman

von

„Vater steht draussen, am Brunnen, und wäscht sich. Bei jeder Bewegung, die er macht, bewegt sich die Ausbuchtung, die ihm unterhalb der rechten Schulter gewachsen ist.“
Doras früheste Erinnerung. Plötzlich ist sie wieder da, als die 32jährige Buchantiquarin sich einem kleinen Eingriff unterziehen muss. „Erinnerung ist ein Schnitt ins Fleisch.“
Die schaukelnde Geschichte an Vaters Rücken – mit einem Mal tauchen die Bilder wieder auf, die Dora längst vergessen glaubte. Das Leben auf dem Land, wo die Wetterlage zur Familienlage wird. Das Kind, das zu nichts zu gebrauchen ist, in einer Ecke sitzt und in ein Buch schlüpft. Oder schön still ist und den Geschwistern zuschaut, wie sie Buchstaben malen. Und heimlich die Fotografie der toten Frau und des Säuglings mit dem Mal auf der Wange betrachtet. Das Kind, das zuviel fragt, keine Antworten erhält, weder vom Vater, der geschont werden muss, noch von der Mutter, die sich immer zurücknimmt. Weder vom Knecht Ruedi, der es mit dem Gemüt hat, noch von der Tante, die dem Kind regelmässig mit der Gehschule droht.
Dora versucht, sich neu zu orientieren, doch die Bilder lassen sie nicht los. Die Reise geht zurück und geht weiter, während die Eltern alt werden und André, der Fotograf, mit dem Dora lebt, seine Aufnahmen macht. Geschichten, die nie erzählt wurden.