Lusophone Lyrik

Gedichte. Poemas 1985-2007

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ANA PAULA TAVARES wurde am 30. Oktober 1952 in Lubango, der Hauptstadt der Provinz Huíla, im Südwesten Angolas geboren. Nach der Schule ging sie nach Norden in die Landeshauptstadt, studierte Geschichtswissenschaft an der Universität von Luanda und arbeitete dort ab 1973 als Geschichtslehrerin. Ihr Land Angola wurde 1975 unabhängig von Portugal und stürzte danach in einen fast dreißigjährigen Bürgerkrieg. Zum Ende der siebziger Jahre siedelte sie nach Lissabon über, wo sie zugleich lusoafrikanische Literatur studierte und in Afrikanischer Geschichte promovierte. Die Historikerin gehörte von 1983 bis 1985 zum angolanischen Rat für Geschichtsforschung und von 1988 bis 1990 zur Jury des Nationalen Literaturpreises in Luanda.

Ana Paula Tavares veröffentlichte ihre ersten Gedichte nach der Unabhängigkeit Angolas und zählt wie Conceição Lima aus São Tomé und Príncipe zur postkolonialen Generation lusoafrikanischer Lyrikerinnen. Die vorliegende Werkauswahl beginnt beim Erstling Ritos de Passagem (1985), der in Luanda erschienen war und jüngst in Lissabon wieder aufgelegt wurde, und umfaßt die folgenden vier Gedichtbände, die sie allesamt bis 2007 im Verlag Editorial Caminho publiziert hat. Ihre Gedichte wurde ins Französisch, Schwedische und Spanische übersetzt. Sie nahm an zahlreichen internationalen Poesiefestivals teil. 2004 las sie auf dem nächtlichen Potsdamer Platz beim Weltklang in Berlin.

Heute lebt sie in São João do Estoril und lehrt an der Universidade Católica von Lissabon. Ihr zweiter Gedichtband O Lago da Lua (1999) taucht intensiv in die afrikanische Natur ein und erzählt mit weiblicher Sensibilität von schmerzreichen und geheimnisnisvollen Augenblicken eines mit roter Tacula-Tinte tätowierten Mädchenkörpers, Glasperlen im Haar, dem Gesang der Erwartung, den Ledersandalen des Geliebten und von den Leiden der Schöpfung und Geburt sowie den Freuden der kleinen Milchträume.

Im dritten Lyrikband Dizes-me Coisas Amargas como os Frutos (2001), für den sie 2004 mit dem Poesiepreis Mário António der Stiftung Gulbenkian ausgezeichnet wurde, spricht sie mit dem Geliebten, der seine Sprache verloren hat und dessen Wort von einst einem verschollenem Pfad im Schatten ähnelt, auf dem ihm die Stimme abhanden kam. Ihre Verse kämpfen gegen das Vergessen, atmen Tränen und Stille, schauen den alten Durst an und suchen eine Fährte zum Ursprung. Doch der Schreckensfluch des Krieges ist mitleidslos, verkennt jedes Glück und jegliche Geborgenheit, zeigt seine Krallen, mit denen er die Witwen und Waisen quält. Die Poetin ergründet in ihrem vierten Band Ex-Votos (2003) die Ahnenwelt und begleitet die Verstorbenen, die lange nicht friedlich ruhen können, wenn sie nur mit der eigenen Haut begraben wurden. Ihre Poesie wird hierbei ein kraftvolle Anwesenheit angesichts des Todes und führt die Erzählungen fort, wodurch die Seelen weiterleben. Ihre Metaphernsprache ist sinnlich und mythisch.

Ihr jüngster, fünfter Band Manual para Amantes Desesperados (2007) beschreibt die innigsten Dünen ihrer Poetik unter dem Fieberbaum: ‚Unser Gespräch durchwandert eine Oase / die Lippen den Durst // Wenn du hinausgehst / laß die Türen / der Kalahari angelehnt.‘

Tobias Burghardt