Madam Butterfly

von

Die wunderbare Übersetzung von Georg Gerry Tremmel erlaubt es bereits, in der Tiefe schon eine der bedeutendsten Arien der Musikgeschichte zu vernehmen, nämlich „Un bel di, vedremo“. Die liebevolle Gestaltung des Covers führt uns dann zum Kern der Geschichte und zum Unterschied zwischen John Luther Long (1861-1927) und Giacomo Puccini (1858-1924). Womit dann die Leserinnen und Leser nicht nur einfach eine deutsche Übersetzung der amerikanischen Kurzgeschichte von John Luther Long zu lesen bekommen, sondern einen Schlüssel für das Verständnis der Oper ‚Madama Butterfly‘ von G. Puccini. Den Übersetzer habe ich vor gut zweieinhalb Jahren durch sein erstes Buch (2007) kennen gelernt. In diesem brillanten Werk war festzustellen, dass G.G. Tremmel zu einem erstaunlichen Ergebnis kommt, nämlich dass die Protagonistin bei Puccini nicht nur ein Individuum, sondern diese „Madame Butterfly“ eine Allegorie für eine jüngere Generation ist. In seiner Forschung stellte der Übersetzer fest, dass es überhaupt nicht ausreicht, David Belasco (1853-1931) als Urheber des Librettos von Puccini anzunehmen, sondern dahinter verbergen sich noch ganz andere Dinge. Wie dann in der Puccini-Forschung schnell erkannt wurde, schien vor allem J.L. Long die eigentliche Urquelle von Puccini gewesen zu sein. Doch auch mit diesem Vorurteil räumt G.G. Tremmel hier auf. Die Widmung dieser Übersetzung macht es deutlich, J.L. Long war nur ein Medium zwischen dem autobiografischen Ursprung von Louis-Marie Julien Viaud (1850-1923) und der bühnenreifen Umsetzung von D. Belasco. Um dem deutschen Publikum die Komplexität der Opernwelt und vornehmlich die von Puccini überhaupt näher bringen zu können, musste eine Übersetzung geschaffen werden, die der Intention des Autors J.L. Long auch entsprechen kann. Mit bewundernswerter Energie hat sich G.G. Tremmel dieser enormen Aufgabe gestellt. Nun könnte die Leserin oder der Leser meinen, dass dies in der heutigen Zeit ein leichteres Unterfangen wäre, aber dem ist nicht so. J.L. Long lässt die Hauptperson Cho-Cho-San (Butterfly) im Pidgin-Englisch (Mischsprache) sprechen und genau bei dieser Besonderheit sei vorab im Vorwort ein wenig verweilt.
Die amerikanische Kurzgeschichte enthält die Eigentümlichkeit, dass sie die Welt von Butterfly vor allem in direkter Rede erzählt. John Luther Long lässt dafür die Protagonistin und ihr Hausmädchen in einer so genannten Mischsprache sprechen. Vereinfacht gesprochen, es erscheinen merkwürdige Wortkonstruktionen und fehlerhafte Satzkonstruktionen. So erscheint z.B. das englische ‚and’ als „an“, was im Deutschen durchaus mit ‚und’ sowie ‚un’ übersetzbar wäre. Aber es sei noch das Beispiel eines fehlerhaften Satzbaus aufgegriffen: „I’m mos’ bes’ happy female woman in Japan“. Bereinigt übersetzt, könnte es lauten: ‚ich bin die glücklichste Frau in Japan’, interlinear übersetzt: ‚ich bin am meisten beste glücklich weibliche Frau in Japan’. Der Übersetzung Genüge getan wäre dann, wenn geschrieben würde: ‚ich bin meist best weibliche Frau in Japan’.
Eine solche Übersetzung der Mischsprache bei J.L. Long verfehlt das Wesentliche, denn allenfalls könnten so die Vorurteile geschürt werden, dass damit Cho-Cho-San als lächerlich anzusehen ist. G.G. Tremmel hat sehr bewusst das Vorwort von J.L. Long übertragen und so ist leicht verständlich, was wohl im Originaltext mit „Schmierern“ zu bezeichnen ist. Die veränderte Visualisierung in der Rede von Butterfly weist auf eine Lautsprache, ähnlich wie im Deutschen mit dem einfachen Beispiel ‚die Q‘ (die Kuh) oder heißt es ‚das Kuh‘ (Q) nachzuvollziehen ist.
J.L. Long lässt Cho-Cho-San so sprechen, wie sie es hörte von ihrem Ehemann Pinkerton und sie meinte, dass sie sich damit gewählt in der Landessprache ihres Mannes ausdrücken kann. Es ist ein „putziger Jargon“ und gleichzeitig eine erst einmal neu zu lernende Sprache. Diese Sprache macht sie einzigartig und unverwechselbar. Kein geringerer als G. Puccini hat dies sehr früh erkannt und so findet sich die Entsprechung bei ihm bereits im ersten Auftritt von Butterfly in der Oper ‚Madama Butterfly‘. Genauer lässt sich sagen, dass ein Verständnis für die Protagonistin erst zu erreichen ist, wenn L.-M. J. Viaud einbezogen wird, das Ende der Oper von Puccini geht ohne Zweifel auf D. Belasco zurück, aber die „freudvolle Zukunft“ (Un bel di, vedremo) findet sich bei J.L. Long.
Mit einer sehr sorgfältigen, redlichen und gewissenhaften Forschung hat G.G. Tremmel nun im Sinne von J.L. Long dem deutschen Publikum die Intentionen der Kurzgeschichte jetzt nahe gebracht. In dieser kleinen Geschichte findet sich die Realität wider, wir treffen auf die liebliche Sprache von Cho- Cho-San (Butterfly) und reiben uns erstaunt die Augen, denn diese Angelegenheit führt in die Welt der Werte, der Ethik, der Moral und der sozialen Beziehungen. Und ganz erstaunlich ist, dass der Übersetzer das Menschliche wie im Original in den Vordergrund rückt. Dies gelingt vor allem dadurch, dass G.G. Tremmel die Reden von Cho-Cho-San gefühlvoll in eine neue Dimension transferiert und damit auch das Lesen dieser Übersetzung zu einem Genuss werden lässt.

Dr. Norbert Zander, 23. Februar 2010

Norbert Zander (*1953), Dr. sc.pol.; Dipl.Soz.Wiss., ist freiberuflicher Soziologe. Sein Tätigkeitsfeld umfasst die reine, theoretische, praktische und angewandte Soziologie. Für philosophers today verfasste Dr. Zander 52 Rezensionen. Aktuelle Publikation: Soziologie – Modern Times in Limelight (Münster: Monsenstein und Vannerdat Wissenschaft, 2008)